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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

gab ihm bis zu seinem eigenen Lebensende vielfache Beweise seiner Achtung. Außer seinen Berufsgeschäften widmete Teichmann seine Mußestunden literarischen Arbeiten, indem er eine „Geschichte des Berliner Theaters seit 100 Jahren“ scrieb. Nebenbei sammelte er auch werthvolle Autographen, darunter Briefe von Schiller, Goethe, Iffland, Heinrich von Kleist, Zacharias Werner, Pius Alexander Wolf und Kotzebue. Diesen höchst werthvollen Nachlaß hat jetzt Franz Dingelstedt bei Cotta in Stuttgart herausgegeben und dadurch einen überaus interessanten Beitrag nicht nur zur Geschichte des deutschen Theaters, sondern unserer Literatur und ihrer Heroen überhaupt geliefert. Vor Allen gewähren diese Briefe von Schiller und Goethe einen besondern Einblick in die dramatische Thätigkeit der beiden Dichterfürsten, in ihre Stellung zum Theater und ihre Verhältnisse zur praktischen Bühne. Wir lernen daraus die rührende Bescheidenheit Schiller’s, sein ideales Streben und auch die wahrhaft geringen Honorare für seine unsterblichen Meisterwerke kennen. Während Kotzebue für seine unbedeutenden Lustspiele „die Organe“ und „blinde Liebe“ von Berlin 222 Thlr. bezog, erhielt Schiller für seine „Maria Stuart“ nur 117, für „die Jungfrau von Orleans“ 107, für die Trilogie „Wallenstein’s Lager, die beiden Piccolomini und Wallenstein’s Tod“ 339 und für seinen „Wilhelm Tell“, der im eigentlichen Sinne Furore machte, nur 131 Thaler für alle Zeiten. – Aus der Geschichte des Berliner Theaters erfahren wir ferner, daß „Don Carlos“ bei seiner ersten Aufführung dem Publicum nicht gefallen hatte; auch Lessing’s „Nathan der Weise“ wurde mit auffallender Kälte aufgenommen und nur einmal gegeben, während „die Räuber“ in demselben Zeitraum zwanzigmal über die Breter gingen. Ein damaliger Kritiker schreibt über den Nathan: „Es herrschte eine feierliche Stille, man beklatschte jede rührende Situation, man munkelte allenfalls von Göttlichkeiten, welche dieses Lehrgedicht belebten, man glaubte, unser Publicum würde das Haus stürmen, aber dasselbe blieb bei der dritten Vorstellung Nathan’s beinahe ganz und gar zu Hause. Die Judenschaft, auf die man bei diesem Stücke sehr rechnen konnte, war, wie sie sich selbst verlauten ließ, zu bescheiden, eine Apologie anzuhören, die freilich nicht für die heutigen Juden geschrieben war, und so fanden sich nur Wenige, denen Nathan behagen wollte.“

Interessant ist ein Besuch Mozart’s in Berlin; kaum ausgestiegen, fragte er den Kellner:

„Giebt’s diesen Abend nichts von Musik hier?“

„O ja,“ erwiderte dieser, „eben wird die deutsche Oper angegangen sein.“

„So, was geben sie denn heute?“

„Die Entführung aus dem Serail.“

„Charmant!“ rief Mozart lachend.

„Ja, es ist ein recht hübsches Stück,“ sagte der Kellner. „Es hat’s componirt – wie heißt er nur gleich?“

Unterdeß war Mozart im Reiserock, wie er war, schon fort. Im Theater blieb er ganz am Eingange des Parterre stehen, um da unbemerkt zu lauschen. Bald freut er sich zu sehr über den Vortrag einzelner Stellen, bald wird er aber auch unzufrieden mit dem Tempo, bald machen ihm die Sänger und Sängerinnen zu viel Schnörkeleien – wie er’s nannte; kurz sein Interesse wird immer lebhafter, und er drängt sich unbewußt immer näher und näher dem Orchester zu, indem er bald dies, bald jenes, bald leiser, bald lauter brummt und murrt, und dadurch den Umstehenden, die auf das kleine, unscheinbare Männchen im schlichten Ueberrock herabsehen, Stoff genug zum Lachen giebt – wovon er natürlich nichts weiß. Endlich kam es zu Pedrillo’s Arie: „Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite,“ etc. Die Direction hatte entweder eine unrichtige Partitur, oder man hatte darin verbessern wollen, und der zweiten Violine bei den oft wiederholten Worten: „Nur ein feiger Tropf verzagt“ Dis statt D gegeben. Hier konnte Mozart sich nicht länger halten, er rief laut mit seiner freilich nicht verzierten Sprache: „Verflucht! Wollt ihr’s D greifen!“ Alles sah sich um, auch mehrere aus dem Orchester. Einige von den Musikern erkannten ihn, und nun ging es wie ein Lauffeuer durch das Orchester und von diesem auf die Bühne: „Mozart ist da!“

Einige Schauspieler, besonders die geschätzte Sängerin Baranius, die die „Blonde“ spielte, wollten nicht wieder auf das Theater heraus; als dies Mozart durch den Musikdirector erfuhr, war er augenblicklich hinter den Coulissen. „Madame,“ sagte er zu ihr, „was treiben Sie für Zeug? Sie haben herrlich, herrlich gesungen, und damit Sie’s ein ander Mal noch besser machen, will ich die Rolle mit Ihnen einstudiren.“


Aus dem Kriege in Polen. „Wer bei uns commandirt, muß jeden Augenblick bereit sein, am Galgen sein Leben zu beschließen,“ sagte kürzlich ein Pole, und viele von denen, welche an der Spitze einer Insurgentenschaar stehen, sind Gestalten der großartigsten und ergreifendsten Art.

Narbutt z. B. gehörte zu den Ersten, welche die Nationalfahne in Lithauen erhoben. Er war der Sohn eines ausgezeichneten Geschichtsschreibers Polens, 33 Jahre alt, ein großer, schöner Mann. Er kannte den Krieg, denn nachdem er die Universität verlassen, hatten ihn die Russen zur Armee am Kaukasus, dann, während des Krimkrieges, zu der Belagerung von Kars gesandt. Verwundet kam er nach Lithauen zurück, aber er zögerte nicht, der an ihn gelangenden Aufforderung aus Warschau Folge zu leisten. Anfangs hatte er nur sieben Mann bei sich, aber seine Schaar wuchs schnell, und sie fochten zwei Monate lang die außerordentlichsten Kämpfe, so daß die Russen endlich eine abergläubische Furcht vor Narbutt hegten. Er war binnen wenigen Tagen so populär geworden, daß alle Führer Narbutt genannt wurden. Einmal gab es elf Narbutts. Die Russen glaubten und hofften stets den Echten getödtet zu haben, aber er entging Ihnen stets. Endlich überlieferte ihn Verrath. Er wurde von allen Seiten eingeschlossen und gleich im Anfange des Gefechtes verwundet; aber als er nicht mehr stehen konnte, ließ er sich von den Seinigen tragen, commandirte mit derselben Energie wie sonst und hatte wirklich die feindlichen Linien bereits durchbrochen, als noch eine Kugel ihn traf, diesmal in die Brust. „Mein Gott, ich sterbe für das Vaterland!“ sagte er und verschied.

Man erlaubte einigen polnischen Damen, auf den Kampfplatz zu gehen und der Verwundeten sich anzunehmen, und ein russischer Officier, der Augenzeuge war, erzählt in dem „Russischen Invaliden“: „Unter diesen Damen befanden sich auch zwei Schwestern Narbutt’s, und sie baten, daß man ihnen die Leiche des Bruders ausliefere. Die Jüngste, die ihren Schmerz nicht beherrschen konnte, begann zu weinen, die Aeltere aber suchte sie zu beruhigen und sagte endlich zu ihr: „Schämst Du Dich nicht, vor den Russen zu weinen?“ Einer von uns,“ erzählt der Russe weiter, „fragte eine andere Dame: „Sie hatten wahrscheinlich auch einen Bruder hier.“ – „Alle, die für Polen kämpfen, sind meine Brüder,“ antwortete sie. Dann begannen sie die Verwundeten zu verbinden und die Todten zu begraben.“

Sieratowski hatte lange in russischen Diensten gestanden und seit Jahren Alles aufgeboten, um das Schicksal der russischen Soldaten erträglicher zu machen. Man erkannte auch seine Bemühungen an, und bald nach dem Regierungsantritte Alexander’s II. wurde er als Stabsofficier nach Petersburg berufen. Als die Insurrection ausbrach, nahm er seinen Abschied, um dem Vaterlande zu dienen. Er sammelte eine Schaar, die sich bald bis zu 2000 Mann vermehrte. In einem ungleichen Kampfe traf ihn eine Kugel am Rückgrate, und den Tag darauf wurde er in einem Hause ergriffen, in dem er Aufnahme gefunden hatte. Bei ihm befand sich ein reicher junger Mann, Graf Kossakowsky, der nicht verwundet war und leicht hätte entrinnen können, der aber blieb, weil er, wie er sagte, seinen General im Unglücke nicht verlassen wollte. Sieratowski wurde vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Galgen verurtheilt. Da er aber wegen seiner schweren Wunde sich nicht bewegen konnte, ließ man ihn zum Galgen tragen. Er starb so muthig, wie er gekämpft hatte.

Kaplan im Lager Sieratowski’s war anfänglich Maskiewicz, der jetzt selbst an der Spitze einer Schaar steht und ein wahres Musterbild eines Priesters und Soldaten ist. Er geht gewöhnlich in aufgeschürzter Soutane, mit dem Säbel an der Seite und dem Revolver im Gürtel, während seine jungen Officiere die Czamarka tragen. Ein Freiwilliger, der sich von ihm in die Schaar aufnehmen ließ, schildert ihn als Mann mit gebräuntem Gesicht, etwas vorspringenden Backenknochen, langem braunen Barte, dicken Brauen und runzelreicher Stirn.

„Kannst Du schießen und gehorchen?“ fragte er lakonisch den Freiwilligen.

„Ja.“

„Kannst Du beten?“

„Meine Mutter hat es mich gelehrt.“

„Wirst Du sterben können?“

„Ich habe es noch nicht versucht.“

„Gut!“


Wislicenus’ neuestes Buch: die Bibel, findet bei der Kritik und im Publicum überall die glänzendste Aufnahme. „Der durch seinen hervorragenden Antheil an den freireligiösen Bewegungen unserer Zeit bekannte Verfasser,“ sagt die in Hamburg erscheinende Zeitschrift „das neue Hamburg“, „steht mit seinem Buche auf dem Boden der Wissenschaft, vor der die Bibel eine Erscheinung der Geschichte, ein Glied in der Kette der menschlichen Geistesentwickelung ist, in welcher Eigenschaft sie keine Ausnahmestellung einnimmt, sondern ebenso wie andere Bücher dem Urtheile des denkenden Menschen unterliegt.“

Wer Erörterungen religiöser Dinge von diesem Standpunkte aus überhaupt nicht vertragen kann, wer sich ihnen mit keiner andern Stimmung und Gesinnung nähern mag, als einer blind und kritiklos glaubenden, der bleibe von der Lectüre des Wislicenus’schen Werks fern, denn sie würde ihm wahrscheinlich doch nichts nützen, ihn andrerseits viel eher durch das Gefühl, einer unwiderleglichen Wahrheit waffenlos gegenüber zu stehen, kränken und erbittern. Wer es aber mit Lessing’s Satze hält: „Der Buchstabe ist nicht der Geist,“ der wird sich der reich gespendeten Belehrung erfreuen, die er aus der vorliegenden Schrift, die durch Scharfsinn, Gelehrsamkeit und Fleiß gleich ausgezeichnet ist, davonträgt. Es versteht sich von selbst, daß ein Mann wie Wislicenus seinen ernsten Gegenstand in der würdigsten Form und Sprache behandelt, daß er nirgends etwa durch eine frivole Darstellung Aergerniß giebt.

Möge das Buch in recht viele Kreise eindringen und dort statt der Gleichgültigkeit gegen religiöse Angelegenheiten oder gar noch schlimmeren Verhaltens gegen sie ein sicheres Wissen verbreiten, denn welcher Denkende wäre nicht mit diesem Ausspruche des Verfasser’s einverstanden: „Wissen ist geistige Gesundheit, Freude, Freiheit und Macht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_720.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)