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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Westen geführt. Nur eine lose Verbindung blieb zwischen uns; aber wäre der Faden auch zerrissen, der wachsende Klang seines Namens hätte dafür gesorgt, mir den Träger dieses Namens im Gedächtniß zu erhalten. Mit lebhaftestem Interesse verfolgte ich seine Entwickelung. Wenn ich diese Entwickelung charakterisiren soll, so möchte ich es dahin thun: er ließ das Lyrische, auch das Lyrisch-Dramatische, das er eine Zeit lang, beispielsweise im Perseus, im Meleager, mit Vorliebe cultivirt hatte, fallen und wandte sich mit einer Art von Ausschließlichkeit dem Epischen zu. Er begann zu erzählen, zunächst in Prosa, bald auch in Versen, und im Verlauf weniger Jahre entstanden jene „Novellen“, „Neue Novellen“, „Meraner Novellen“, „Novellen in Versen“, die ihm seitdem, draußen und daheim, einen Namen gemacht und ihm unter unsern deutschen Erzählern einen allerersten Rang angewiesen haben.

Was vielleicht am meisten zur Bewunderung zwingt, das ist ihre Mannigfaltigkeit bei aller Verwandtschaft, ihre Verschiedenheit in der Einheit. Sämmtlich erotischer Natur und immer, sei es in Bangen oder in Hoffnung, zu Glück oder Unglück, das „selig Eine“ als alleiniges Thema behandelnd, wiederholen sie sich doch nie und Phrasenhaftes und Verbrauchtes mit gleich sicherem Tact vermeidend, erschließen sie uns immer neue Seiten, führen immer neue Situationen vor uns herauf. Das Geheimniß des Gelingens ist vielleicht in der pathologischen Behandlung des Gegenstandes zu suchen, darin, daß der Dichter jede neue Aufgabe als ein psychologisches Problem faßt, als ein Räthsel, an dessen Lösung er uns theilnehmen läßt. Gewagtem, der ganzen Natur Heyse’s nach, begegnen wir auch hier, Verfehltem nie. Uebrigens ist ein Unterschied zwischen seinen Prosa-Novellen und seinen Novellen in Versen. Wir möchten den letzteren den Vorzug geben. Das, was seine glänzendste Seite ausmacht, das Graciöse, es findet hier, in Ueberwindung formeller Schwierigkeiten, eine gleichsam gesteigerte Gelegenheit, sich geltend zu machen, und Witz und Humor, die, wie die Fahnenschwenker bei einem Festzuge, fast sichtbarlich von Strophe zu Strophe vor einem her schreiten, zaubern den Leser in eine heitere Fest- und Reisestimmung hinein. Heyse’s Prosa-Novellen reihen sich an das Beste, das wir haben, seine Novellen in Versen aber nehmen einen Platz für sich innerhalb unserer modernen Literatur ein. Wir wüßten nicht, daß, seit Wieland’s Oberon, so heitere epische Dichtungen erschienen wären, wie die „Braut von Cypern“ oder der „Walchensee“.

Dem Werth dieser Arbeiten entsprachen ihre äußeren Erfolge. Immer neue Auflagen, besonders der Prosa-Novellen, erschienen und vielleicht war es mehr ein Zufall, eine äußere Anregung, als ein innerer Drang, was ihn, Ausgangs der fünfziger Jahre, seiner ersten Liebe, dem Drama, wieder zuführte. Diese äußere Anregung gab eine Concurrenz. 1857 wurde, von Seiten des Königs von Baiern[WS 1], ein Preis für die beste deutsche Tragödie ausgesetzt; – es war selbstverständlich, daß sich die Münchner Poeten an diesem Wettkampf betheiligten. Heyse’s „Sabinerinnen“ gewannen den Preis. Das Sprüchwort sagt: „wen erst die Bühne hat, den läßt sie nicht wieder los“ und die Wahrheit des alten Satzes schien sich alsbald an unserem Poeten bewähren zu sollen. In rascher Reihenfolge erschienen neue Stücke: „Elisabeth Charlotte“, „Die Grafen von der Esche“, „Hadrian“, „Maria Moroni“, „Hans Lange“. Als ihn die Vorarbeiten zu dem letztgenannten, in seiner Hauptgestalt völlig originellen Drama beschäftigten, sah ich ihn wieder. Freilich nur auf kurze Stunden und nachdem ich die Hoffnung auf ein Wiedersehen fast schon aufgegeben hatte.

Der Spätherbst jenes Jahres hatte mich nach Süddeutschland, nach Heidelberg, dann nach Stuttgart geführt; auf dem Heimwege beschrieb ich eine Curve von dreißig Meilen, eigentlich zu keinem andern Zweck, als um Heyse, nach so vielen Jahren, ‘mal wieder einen guten Tag zu bieten. Ich ging also über München, hatte mich aber verrechnet und stieß auf das leere Nest. Heyse war verreist, nach Wien. Ein Glück unter diesen Umständen, daß ich in München nicht völlig ein Fremder war. Ich kannte Diesen und Jenen aus der Dichter-Colonie (von den „Krokodilen“,[WS 2] wie sie sich nennen) und sah mich also nicht ganz auf die Glyptothek und ihren Marmor angewiesen, die, wie alle Bauten derart, in Novembertagen mehr mausoleum- als museumartig wirkt.

Es war kurz vor der Abreise des Königs. Vor seinem Aufbruch wünschte der liebenswürdige Fürst, der humansten einer, die je einen Thron zierten, seine Poeten und Philosophen noch einmal um sich zu sehen; die Einladungen ergingen; – auch ich durfte erscheinen. Ich war unwohl, erkältet, doch es lockte mich, ein Zeuge dieser eigenthümlichen Zusammenkünfte zu sein.

Ein scharfer Ostwind pfiff durch die Straßen, als ich, von der Seite des Theaterplatzes her, in das alte Schloß einbog. Ein paar Gaslichter brannten, aber an solchen Windtagen, wo Alles hin und her flackert und jeder Windstoß das Gas in die Röhren zurückdrückt, hat das Licht keine Leuchtekraft; im Portal war Alles dunkel oder erschien doch so; ebenso auf der Treppe, die ich hinanstieg. Zehn Schritt vor mir, in einen Shawl fest eingewickelt, stieg ein Vordermann die breiten Stufen aufwärts. Er ging sicherer als ich. Ich folgte rasch, wie um mich zu attachiren; außerdem aber Gestalt und Haar, das in einzelnen Locken über den Shawl fiel, dazu die gefällige Nonchalance des Ganges, – ich konnte mich nicht täuschen, er mußte es sein. Heyse! … ich rief seinen Namen. Er war es wirklich; vor wenig Stunden zurückgekehrt. Herzlichste Begrüßung, aber leider bei Zugluft; – wir kamen also überein, die eigentliche Erkennungsscene mit der Versicherung beiderseitigen Junggebliebenseins erst oben stattfinden zu lassen. Hand in Hand stiegen wir den Corridor hinauf.

Es ging durch eine lange Reihe von Zimmern. Auch hier herrschte Halbdunkel; überall lagen dicke persische Teppiche, in den Fensternischen standen einzelne Lakaien, blau und weiß galonnirt, ächt bairische têtes quarrées, alt, häßlich, wenig verbindlich.

Drei dieser Zimmer, wenn ich nicht irre, dienten dem Zweck dieser literarischen Reunions, der „Symposien“, wie diese Zusammenkünfte scherzhaft genannt worden sind. Das eine war Empfang-, das andere Billardzimmer; hinter beiden der eigentliche Sitzungssaal. Der König wurde frühestens in einer Viertelstunde erwartet; wir hatten also Zeit zu privater Begrüßung. Ich fand Heyse wirklich wenig verändert, trotz manchen Jahres und manchen Erlebnisses, das zwischen heut’ und den Berliner Tagen lag. Dasselbe Lachen, dieselbe Leichtigkeit der Bewegung, dieselbe Jugendlichkeit der Züge; nur um Kinn und Mund war er voller geworden. Waren es die Jahre oder der Hofbräu?

Der König erschien. Er begrüßte Jeden von uns; mich, als Gast, mit besonderer Freundlichkeit. Dann, im Passiren des Billardzimmers, einen der Bälle aussetzend (eine bloße ceremonielle Form) schritt er in das eigentliche Sitzungszimmer voran. Wir Andern folgten. Das Zimmer selbst war behaglich. Einzelne Lampen hingen über einem Längstisch mit grüner Decke; Kamine, Lehnstühle; Alles nahm Platz. Rechts und links neben dem König saßen Liebig, Moritz Carrière, Bodenstedt, Paul Heyse, ihm gegenüber v. d. Thann, Geibel, Riehl. Andere sind mir nicht mehr gegenwärtig.

Die Unterhaltung machte sich leicht und ungezwungen. Zunächst wurde politisirt, aber mehr von allgemeinen Gesichtspunkten aus. Die Tagesereignisse gaben nur die Anregung, nicht den Inhalt des Gesprächs. Dann wurde Heyse nach seiner Reise befragt. Er gab einen kurzen Bericht; das Wiener Theater wurde berührt, Laube, Halm, Frau Rettich;[WS 3] Anekdoten folgten; dann verallgemeinerte sich das Gespräch und ging alsbald in eine Debatte über das moderne Drama über.

Ich saß ein wenig zurückgebogen, in diesem Augenblick doppelt ein Fremder, fremd in dem Kreise, aber auch fremd in der Debatte. Diese nahm bald einen Flug, daß ich nicht mitkonnte. Ein Material wurde herangeschleppt, Stellen aus Stücken citirt, die ich kaum dem Namen nach kannte; – ich schob meinen Stuhl weiter zurück in den Schatten. Die Wahrheit zu gestehen, war mir’s lieb, daß es so kam. Was hätt’ ich von der Ehre gehabt, auch mein Scherflein beigesteuert zu haben? Vielleicht nur Verlegenheit. Jetzt hatte ich den Genuß bei noch ungestörter Beobachtung.

Diese Freude war um so lebhafter, als mir bald kein Zweifel blieb, wer in dieser Frage den Kreis beherrschte. Heyse war noch in Reisestimmung. Er hatte das Wort. Mir klingt noch das Eine und das Andere im Ohr: „… Auch in ästhetischen Dingen, wie in so vielen andern, sind wir an einen Wendepunkt gelangt, namentlich im Drama. Die alten Theorien thun’s nicht mehr … die Grenzen sind weitaus zu eng gezogen. Wir müssen aus dem Schematisiren heraus, vor Allem aus dem Balancirsystem von Schuld und Sühne… Das ist eine Krücke für den Lahmen, aber für den, der laufen kann und laufen will, ist es ebenso oft ein zwischen die Füße geworfener Stock. Das Dramatische

Anmerkungen (Wikisource)

  1. ADB:Maximilian II. (König von Bayern), (1811–1864)
  2. Krokodile in München. In Die Gartenlaube (1866), Heft 34, S. 531–534
  3. ADB:Rettich, Julie. Artikel in der Wikipedia, (1809–1866), deutsch-österreichische Schauspielerin.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_567.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)