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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Erinnerungen an Hoffmann von Fallersleben.


Von Rudolf Gottschall.


Wenn die Zeitungen die Kunde von dem Tod eines hervorragenden Mannes bringen, so blättern wir unser Erinnerungsalbum durch und rufen, wenn er uns persönlich bekannt gewesen, die mit ihm verlebten Stunden uns in das Gedächtniß zurück. Hoffmann von Fallersleben, der jüngst in der Benedictinerabtei zu Corvey an der Weser starb, ein Liederdichter im Stil der alten Minne- und Meistersänger, gehörte zu den hervorragendsten Vertretern der vormärzlichen Epoche, ja zu ihren denkwürdigen Typen, und es wäre schade, wenn sein Bild nur in der abgeblaßten Gestalt und Farbengebung fortleben sollte, wie es in unsern Literaturgeschichten zur Schau gestellt ist. Mit Recht verherrlicht man ihn wie alle Männer, welche sich um die Entwickelung deutschen Staats- und Gemüthslebens verdient gemacht haben; doch so viel er auch nach dem März 1848 gesungen, gedichtet und gesammelt hat – seine Bedeutung ist eine durchaus vormärzliche; er ist der politische Wanderdichter der Bewegungsjahre, und wenn er auch jetzt noch satirisch „streiflichterte“ oder seine Stimme hier und da in der „Nationalzeitung“ mit dichterischen Mahnungen ertönen ließ – diese späten Blüthen seiner Muse fanden nur Beachtung, nicht weil sie aus dem Klostergarten von Corvey kamen, sondern weil ihr Gärtner in vormärzlichen Zeiten mit seiner politischen Blumenzucht sich nationale Prämien erworben hatte.

Es war noch auf der Prima, mitten unter Horaz und Sophokles, wo ich die Bekanntschaft der „Unpolitischen Lieder“ Hoffmann’s von Fallersleben machte; sie waren bis in das ostpreußische Landstädtchen gedrungen, wo der Cultus der großen Dichter des Alterthums dicht neben der Arabia petraea des stein- und seereichen Masurens getrieben wurde. Der Eindruck, den diese kleinen geflügelten Epigramme auf jugendliche Gemüther machten, war zwar kein bedeutender. Man war im damaligen Staatswesen noch zu wenig zu Hause, um alle die Mißstände zu kennen, gegen welche der „harmlose“ Liederdichter seine ferntreffenden Bolzen abschoß; doch man hatte das Gefühl, daß da manchen hochwichtigen und hochmächtigen Persönlichkeiten und Einrichtungen des Staates, die noch mit dem chinesischen Zopf behaftet waren, ein Schnippchen geschlagen wurde, und das war ein wohlthuendes Gefühl von Schadenfreude. Auch wußte man ja aus den Schulstunden, was der Satiriker Juvenalis oder der Epigrammatiker Martialis für unsterbliche Männer waren, obschon sie keine großen Helden- und Liebesgedichte verfaßt hatten, und so nahmen wir unsere Mütze auch vor dem unpolitischen Liederdichter ab; man kann ja auch groß sein im Kleinen. Wir waren zwar von den Polizei- und Censurscherereien wenig geplagt worden; aber es kamen doch auch Gerüchte zu uns, wie es damit aussehe im Preußenlande, und was Herwegh in einem begeisterten Liede: „Der Sclaverei Idylle“ nannte, statt welcher er ein „Trauerspiel der Freiheit“ verlangte, das schilderte uns Hoffmann so anschaulich, daß wir erst einen Begriff davon bekamen:

Wie ist doch die Zeitung interessant
Für unser liebes Vaterland!
Was ist uns nicht Alles berichtet worden!
Ein Portepéefähnrich ist Leutnant geworden,
Ein Oberhofprediger erhielt einen Orden,
Die Lakaien erhielten silberne Borden,
Die höchsten Herrschaften gehen nach Norden
Und zeitig ist es Frühling geworden –
Wie interessant, wie interessant!
Gott segne das liebe Vaterland!

In der That, es war dieselbe Sehnsucht nach Thaten, nur in satirischer Form ausgesprochen, wie wenn Herwegh von der Jugend sang, die sich in „Gluthen eines Meleager“ verzehrte!

Die Einförmigkeit des militärischen Friedensdienstes, dem es an jedem kriegerischen Lorbeer fehlte, wurde in diesen Liedern verspottet, wie wenn in der „Tragischen Geschichte“ der General zur Mitternachtsstunde aus einem angstvollen Traume erwacht:

War’s Krieg und Pest, war’s Hungersnoth?
War’s Hülf- und Feuerschrei?
War’s Hochverrath und Mord und Tod?
War’s blut’ge Meuterei?

Ihm träumte – nun, es war enorm! –
Daß durch das ganze Heer
Erhalte jede Uniform
Hinfort zwei Knöpfe mehr!

Das Alles amüsirte uns Primaner weidlich; es waren niedliche Neck- und Spottgeisterchen, in poetischen Spiritus gesetzte Duodezteufelchen. Und wenn der Dichter Herwegh als politischer Prophet erschien, so war Hoffmann doch mindestens ein poetischer Laubfrosch, der einen politischen Witterungswechsel verkündete.

Einige Jahre darauf, in der Blüthe der vormärzlichen Epoche, sollte ich den Dichter nun persönlich kennen lernen. Es war zur Zeit seines höchsten Ruhmes; denn er war kurz vorher in Breslau seiner Professur entsetzt worden. Solche Amtsentsetzungen waren aber damals Anweisungen auf glänzenden Zeitungsruhm, und der Dichter hatte selbst dieses Ereigniß in einem sangbaren Liede gefeiert:

Ich bin Professor gewesen,
Nun bin ich abgesetzt.
Einst konnt’ ich Collegia lesen,
Was aber kann ich jetzt?

Jetzt kann ich dichten und denken
Bei voller Lehrfreiheit,
Und Keiner soll mich beschränken
Von nun bis in Ewigkeit.

Hoffmann hatte zunächst ein Asyl in Waltdorf, dem Gute des Grafen Eduard von Reichenbach, in der Nähe der schlesischen Festung Neisse gefunden. Unter diesem „säulengetragenen“ gastlichen Dache des feurigen Burschenschafters trafen sich viele Mißvergnügte, besonders die von dem Eichhorn’schen Cultusministerium Gemaßregelten, mochten sie nun Lehrer oder Schüler einer alma mater gewesen sein. Hier sah ich zuerst den hochaufgeschossenen, aber stattlichen, lebensvollen Sänger der „Unpolitischen Lieder“. Nichts von Schwärmerei, von blassem Byronismus, von Weltschmerz, von fliegenden Halstuchschleifen und ähnlichen, in jungdeutschen Kreisen fashionabeln Zügen des Charakters und der Toilette war in seinem Wesen zu finden; er hatte eine frische und blühende Gesichtsfarbe, ein schalkhaftes Lächeln und suchte den „nägelbeschuhten Minne- und Meistersänger“ in schlichten urgermanischen Formen lebensfähig darzustellen. Ein langgetragenes, etwas gekräuseltes Haupthaar, ein weitübergeschlagener weißer Kragen, ein studentischer „Flausrock“ und in der Hand irgend ein urwüchsiger Wanderstock – so trat der in noch frischen Mannesjahren stehende Sänger vor mich hin. Wir Jüngeren hatten damals den Kopf voller philosophischen Gedanken; wir waren bei dem jüngeren Hegelthume in die Schule gegangen. Das mußte man vergessen, wenn man mit Hoffmann zusammenkam; er hatte gar keine philosophischen Steckenpferde und alle dichterischen Tiefsinnigkeiten waren ihm fremd.

Er war seines Zeichens ein Germanist – und niemals hat sich ein Germanist um Philosophie gekümmert; seine Passion waren alte Manuscripte und Drucke; er hatte sie in den Klöstern Deutschlands und der Schweiz aufgesucht, und die „Volkspoesie“, der man seit den Zeiten der Romantiker in Deutschland nachzugehen pflegte, war seine Muse. Er war in dieser seiner Bildung so einseitig wie möglich, und wer die fünf Bände seiner Lebensbeschreibung durchstudirt, der wird ihn immerfort sich in diesem Kreise bewegen sehen. Doch darin war er eben ein ganz tüchtiger Mann, im Leben und Dichten solch eine Nachblüthe altdeutscher Sangesfreudigkeit.

Dabei war er ein warmer Naturfreund. Wie viel sind wir zusammengewandert in dieser von anmuthigen Gehölzen durchzogenen Hügelgegend, für welche die bald heller, bald dunkler blauenden Sudeten den abgrenzenden Horizont bilden! Da, in der Frische des Morgens war er in seinem Elemente, und hinstreifend über die thauigen Waldgründe, sann er über die Lieder nach, die sich zugleich mit ihren Melodien in seiner Seele regten. Er war kein Naturforscher, nicht mit dem Detail der Natur vertraut, etwa wie Jean Paul oder Stifter, kein „Allträumer“, wie Rückert und Schefer; aber er freute sich jeder Blume, wenn er sie auch nicht benennen konnte, und wenn ihn die frischen Lüfte umwehten, dann fühlte er sich wiedergeboren und verjüngt. Jagden, Uebungen im Pistolen- und Büchsenschießen machte er nicht mit; dergleichen gehörte nicht zu seinen Passionen; er war ein friedlicher Wanderer, der nur Blumen sammelte, aber nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_161.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)