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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


dem deutschen Theater durch Musterausfführungen, Neubearbeitungen und Inscenirungen geleistet hat. Kaum war er vom württembergischen Hofrath und Bibliothekar zum Intendanten des baierischen Hof- und Nationaltheaters emporgestiegen, so veranstaltete er jene vielbesprochenen und vielbesuchten Musteraufführungen der dramatischen Meisterwerke Goethe’s, Schiller’s und Lessing’s, an denen die hervorragendsten Schauspielkräfte Deutschlands sich beteiligten. Und als er – man lese darüber seine reizenden „Münchener Bilderbogen“ nach – mit dem Reugelde eines Adelstitels in München verabschiedet ist, führt er, zum Generalintendanten in Weimar ernannt, zur Feier des Schiller-Tages den ganzen Cyclus der größeren Dramen Schiller’s auf, zur Feier des Shakespeare-Jubiläums dann auch die historischen Dramen des unvergleichlichen Briten. Da hat er denn, wie auch später in Wien, gezeigt, was es mit den vielangefochtenen Aeußerlichkeiten auf der Bühne für eine Bewandwiß hat. Ohne sie und die seine Nachhülfe in der Bearbeitung, welche ihm zu danken ist, wären die Shakespeare’schen Historien geblieben, was sie bis dahin waren. Anachronismen, an denen die Gegenwart sich nicht mehr zu erwärmen vermochte. Er hat Großartiges auch mit Goethe’s „Faust“ geplant, den er für die Bühnenaufführung trilogisch einrichten wollte. Der Tod ist rauh dazwischen getreten, und es blieb nichts als der Umriß in der „Faust-Studie“ übrig, den ich ihn einst selbst mit hinreißender Beredsamkeit vor einem auserlesenen Publicum entwickeln hörte; denn er war auch ein Vortragsmeister von seltener Virtuosität, und wenn er sprach, so zeigte sich erst, wie er zu lehren verstand.

Die Trauerfahne ist längst wieder von dem grauen Gemäuer des Burgtheaters verschwunden. „Die Raben flattern aus, aber zu früh,“ sagte Franz Dingelstedt auf seinem schmerzensreichen Krankenbette, als zahlreiche Anfragen über sein Befinden einliefen. Jetzt flattern sie nicht mehr, aber auch er ist fort. An einem Frühlingsmorgen ward der Siebenundsechszigjährige hinweggenommen. „Wer wird sein Nachfolger werden?“ fragt man sich in Wien; denn es giebt kein volksthümlicheres Institut in der Donaustadt als das Burgtheater, und keine artistische Sorge ist dort größer als diejenige um das alte Haus am Michaeler Platze. Ja, wer wird Dingelstedt’s Nachfolger werden? Wer kann es werden? Was er der deutschen Literatur geschenkt, das liegt beschlossen in einer schönen Gesammtausgabe von zwölf Bänden; was er dem deutschen Theater gewesen, soll erst noch von berufenem Munde gesagt werden. Als in Wien vor Jahr und Tag eine Autographen-Festschrift erschien, da schrieb er – es war gerade um die Zeit, da er Grillparzer’s Lustspiel „Weh dem, der lügt!“ zu neuem theatralischen Leben erweckt hatte – auf seinem Krankennette die Worte nieder: „Weh dem, der liegt!“ Das war der alte Pessimist, der an sich und die Welt nicht glaubte. Aber die Welt hat an ihn geglaubt, die Welt nämlich, welche die Wände des Burgtheaters umschließen, und das ist die gesammte deutsche Theaterwelt. Und diese Welt darf zweifeln, daß Franz Dingelstedt einen Nachfolger finden werde, der es ihm gleichthut. Dichter und Theaterdirector in Einer Person - wo findet sich heutzutage diese Vereinigung, die das Geheimniß war von Franz Dingelstedt’s fruchtbarem Wirken?




Das deutsche Reich und die öffentliche Gesundheitspflege.

1. Geschichtliche Entwickelung der Volkshygiene.

Als Cyrus für sein Heer Aerzte besorgen wollte, rieth ihm sein Vater Kambyses: „er sollte lieber Wächter der Gesundheit anstellen und Vorkehrungen treffen, daß seine Leute nicht krank würden; nur mit gesunden und lustigen Soldaten ließen sich Siege erfechten, die Aerzte aber lieferten nur Flickarbeit.“ Noch in der Kriegsführung unserer Tage pflegt sich als die weitsichtigere die nach diesem Grundgedanken handelnde Heeresleitung zu bewähren, und ebenso wenig wie den Feldherren war dieser Gedanke den weisesten Gesetzgebern des Alterthums fremd.

Es gilt einen gedrückten, durch erbliche Aussatzkrankheit verkommenen Stamm in ein Rassevolk ersten Ranges, in eine selbstbewußte, erobernde Nation umzuwandeln – und Moses nimmt nicht einen Troß von Aerzten, Wickelfrauen und Krankenpflegern mit auf seinen Wüstenzug, sondern er drillt die sich ihm Anvertrauenden nach den raffinirten Maßregeln der ägyptischen Sanitätsgesetzgebung. Jehovah selbst überwacht jeden Satz der Gesundheitslehre; sein Zorn scheucht den durch unreine Berührung Angesteckten aus dem Vorhofe des Tempels; sein Fluch trifft den gegen die Reinigungsvorschriften, die Speiseordnung, die Wohnungspolizei und Krankenisolirung sich vergehenden Frevler. Der priesterliche Sanitätspolizist dringt in alle Geheimnisse des Hauses und der Familie ein; von der Geburt bis über das Grab hinaus verfolgt er jede menschliche Handlung; vom Lebensgenuß des Einzelnen, von persönlichen Rechten und Freiheiten ist nicht die Rede.

Und doch fehlen die helleren Farben der Hoffnung und Verheißung in diesem aus Drohung und Abschreckung gewebten Wohlfahrtsgesetz nicht ganz, indem der Gesetzgeber als Lohn seiner Befolgung Wohlergehen und ein langes Leben hinstellte. Einer nationalen Auffassung, welcher die Aussicht, das Alter der Patriarchen zu erreichen und dabei gesund zu bleiben, sogar die Verheißung eines besseren jenseitigen Lebens ersetzte, mag es auch leicht erschienen sein, die tief eingreifenden, über dem Leben lastenden Gesundheitsvorschriften blindlings zu befolgen.

Eigenthümlicher Weise preist auch unter den griechischen Gesetzgebern der Begründer einer despotischen, alle persönliche Lebensfreude unterjochenden Volksgesundheitslehre am lautesten das hohe Alter als ein besonderes Verdienst: Lykurg, der die spartanischen Mädchen durch Wettlauf und Turnen zur kräftigeren Entwickelung zwingt, der über das Knabenalter die härtesten Züchtigungen, über den Mann die Entfremdung von der Familie verhängt, der sich nicht scheut, die Vernichtung kränklicher und schwächlicher Neugeborenen als Staatsgebot auszusprechen, fordert für das Greisenthum nicht etwa nur Schonung, sondern höchste Verehrung. Das Alter soll hier direct als etwas Verdienstliches angesehen werden und zwar nicht nur etwa wegen seiner durch die Nestorjahre erworbenen Weisheit, sondern auch weil es sich so lange im Widerstande gegen das demütigende Loos der Sterblichkeit zu erhalten wußte.

Daß „nur im gesunden Körper ein gesunder Geist wohne“, war der Grundgedanke des mehr vergeistigten Griechenthums, wie es sich besonders in Athen entwickelte. Die edle Harmonie der leiblichen und seelischen Natur, die Entfaltung des ganzen Menschen in Rüstigkeit, Schönheit und Gesundheit strebten die Gesundheitsgesetze dieses zur Erfüllung solcher Wünsche wie geborenen Volkes an. Mit den Gymnasien in unmittelbarer Verbindung standen die öffentlichen Bäder, deren durchdachter Comfort noch heute Gegenstand unseres Neides sein könnte; den Fremden und Herbergesuchenden beschützte kein geringerer Gott, als Zeus selbst; der Mensch sollte dem Menschen als ein den Göttern geweihtes Heiligthum gelten. Aber keine Spur des Ueberganges findet sich zwischen dem Gesundheitsideal des freien Bürgers und der elenden Lage des arbeitenden Sclavenproletariats. Selbst nach den winzigsten Andeutungen einer volkswirthschaftlichen Schätzung des Arbeiterlebens (wie sie uns in so hoher Entwickelung als bewußtes Streben der amerikanischen Sclavenhalterei entgegentrat) suchen wir bei den Griechen vergebens. Wie der eingeborene Sclave in den Werkstätten und Steinbrüchen schnell abgenutzt wurde, ohne daß ein Gesetz sein Leben und seine Gesundheit schirmte, so wanderte der kriegsgefangene Barbar und der Verbrecher in Ketten nach den Bergwerken, um nach Plutarch’s Ausdruck „als ein ausgestoßenes und nicht mehr mitgezähltes Opfer der menschlichen Gemeinschaft, in ungesunden und verpesteten Räumen zu Grunde zu gehen“.

Und eine gleiche Unebenheit zeichnet die öffentliche Gesundheitspflege des republikanischen und kaiserlichen Roms aus. Hier mußte Alles, was sich auf sie bezog, groß, in die Augen fallend sein, mußte vor Allem den Zweck erfüllen, seinen Schöpfer populär zu machen. „Drei Dinge sind es,“ meint Strabo, „welche von den Griechen vollkommen vernachlässigt, von den Römern dagegen ohne Scheu vor Kosten mit mühevollster Arbeit zweckmäßig ausgeführt wurden: der Bau der Cloaken, der Wasserleitungen und der großen Verkehrswege.“

Um ihr durch lange Benutzung verstopftes Canalisationsnetz zu reinigen, gab die Stadt im Jahre 184 vor Christo auf einmal 1000 Talente (3,600,000 Mark) aus, und wie genügend auch die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_418.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)