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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Priester, als Lenker der hülflosen Heerde. Keiner dürfe hinter dem Tabernakel herumgehen, sondern Jeder müsse sich vertrauensvoll an dessen Verwalter wenden; dafür dürfen die Priester nichts Menschlichem mehr fern bleiben, das sie immer noch am besten verständen, und sie seien erbötig, überall nach wie vor zu helfen und beizustehen, daß die Wurst am rechten Zipfel angeschnitten würde. Nur verlangen sie dafür Heilighaltung des Tabernakels des Unbekannten und allgemeine Aufmerksamkeit bei Verkündung und Beschreibung desselben.

Hiebei beklagte der Pfarrer in ergreifender Weise die Unwahrhaftigkeit auf der Kanzel, welche die Dinge nicht beim rechten Namen nenne und dem Volke keinen reinen Wein einzuschenken wage, als ob es denselben nicht vertragen könnte, und er beschrieb die Unwahrhaftigkeit und Kunst des Verwischens so trefflich, daß die zuhörende Gemeinde von Neuem hingerissen ausrief: Wie schön, wie wahr und tief hat er das wieder gesagt!

Dann aber forderte er die Versammlungen wiederum auf, alle Schlacken auszuwerfen und sich zu weihen für den Gedanken der Unsterblichkeit durch die Heiligung alles Thuns. Zwar sei der Wissenschaft zuzugeben, daß die persönliche Fortdauer der Seele ein Traum der Vergangenheit sein dürfte. Wolle und

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/445&oldid=- (Version vom 31.7.2018)