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Entblößung der geistigen Kräfte in der aktiven Nacht

Gnaden, nicht aber eine Menge innerer Ansprachen“. Diese können nicht nur durch die Tätigkeit der eigenen Natur, sondern auch durch die Einflüsterungen des Teufels hervorgebracht werden. Allerdings hinterlassen sie je nach ihrem Ursprung verschiedene Wirkungen in der Seele, aber es ist doch nur bei großer Erfahrung im innern Leben möglich, sie mit Sicherheit zu unterscheiden. Darum ist es am besten, ihnen allen keinen Wert beizulegen. Wir sollen zufrieden sein, „wenn wir nur die Geheimnisse und Wahrheiten des Glaubens kennen in jener Schlichtheit und Wahrheit, wie sie uns die Kirche vorlegt. Das reicht vollkommen hin, um unsern Willen anzufeuern....“[1]

Die formellen Ansprachen unterscheiden sich von den sukzessiven dadurch, daß der Geist sie empfängt, ohne selbständig mitzuwirken, auch ohne gesammelt zu sein und ohne an das gedacht zu haben, was er vernimmt. Manchmal sind sie scharf geprägt, manchmal nur wie Gedanken, durch die einem etwas mitgeteilt wird. Bisweilen ist es nur ein einziges Wort, ein andermal mehrere; es kommen auch längere Belehrungen vor. Sie hinterlassen keinen tieferen Eindruck, denn in der Regel haben sie nur den Zweck, die Seele über einen einzelnen Punkt zu belehren oder aufzuklären. Meist verleihen sie auch die Bereitwilligkeit zu dem, was sie auftragen. Es kann aber auch vorkommen, daß in der Seele ein Widerwillen gegen das besteht, was sie tun soll. Das läßt Gott vor allem dann zu, wenn es sich um wichtige Werke handelt, die ihr Auszeichnung bringen können. Für gewöhnliche und erniedrigende Dinge dagegen verleiht Er leichte Bereitschaft. Gerade umgekehrt verhält es sich, wenn die Ansprachen vom Teufel kommen. Dann ist die Seele voll Eifer für große und außerordentliche Dinge und fühlt Widerstreben gegen gewöhnliche. Doch auch hier ist schwer zu unterscheiden, was vom guten und vom bösen Geist kommt. Darum „soll die Seele an diesen formellen Ansprachen keine größere Bedeutung beimessen als den sukzessiven“. Man soll auch nie sofort an die Ausführung dessen gehen, was die Ansprachen fordern, sondern sich erst mit einem erfahrenen Geistesmann besprechen und seinem Rat folgen. Findet man niemanden, der genügend Erfahrung besitzt, so ist es am besten, sich an das zu halten, was die Ansprachen Sicheres und Wesentliches besagen, sich aber dann nicht weiter darum zu kümmern und niemandem etwas davon zu erzählen[2].

Die substantiellen Ansprachen haben mit den formellen das gemein,


  1. a. a. O. B. II Kap. 27, E. Cr. I 251 ff.
  2. a. a. O. B. II Kap. 28, E. Cr. I 258 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/068&oldid=- (Version vom 3.8.2020)