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Wechselseitige Aufhellung von Geist und Glauben

der Wille dagegen wird wenig oder gar nicht erwärmt und belebt.... Die klingenden Worte allein haben keine Kraft, einen Toten aus seinem Grabe zu erwecken“. Der Heilige will einen guten Stil, erhabene Beredsamkeit und gut gewählte Worte durchaus nicht herabsetzen. All das „ist für den Prediger wie für jeden Geschäftsmann von großer Bedeutung, denn das rechte Wort und der gute Stil können gefallen und verdorbene Sachen wieder aufrichten und herstellen, während schlecht gewählte Ausdrücke die besten Sachen zugrunde richten und verderben können....“[1]


2. Wechselseitige Aufhellung von Geist und Glauben

a) Rückblick und Ausblick

Hier bricht der Aufstieg zum Berge Karmel plötzlich ab[2]. Ob das Werk nie vollendet wurde oder ob nur kein abgeschlossenes Manuskript auf uns gekommen ist, wissen wir nicht. Die Abhandlung über die Freude ist nicht zu Ende geführt, die andern Leidenschaften sind gar nicht behandelt. Die angekündigten Teile über die passive Reinigung kommen in der Dunklen Nacht zur Ausführung. Es ist ferner in der Darstellung auffallend, daß sie nur in den Anfängen unmittelbare Auslegung des vorangestellten Gedichtes ist, sich aber allmählich mehr und mehr davon entfernt und dem sachlichen Zusammenhang der angeschnittenen Fragen folgt. Auch darin bietet die Dunkle Nacht eine Ergänzung. In den letzten Teilen dieses Werkes bilden die Verse wirklich den Leitfaden. Allerdings bricht die Erklärung beim 1. Vers der 3. Strophe ebenso plötzlich ab wie der Aufstieg mitten in der Behandlung der Freude. Das Bruchstückhafte und in mancher Hinsicht Unausgeglichene dieser Schriften läßt sich wohl verstehen aus den Umständen und der Art, wie sie entstanden. Johannes schrieb sie nicht als Künstler, der ein allseitig ausgewogenes und gerundetes Ganzes formen wollte. Er wollte auch nicht als Theologe ein System der Mystik[3] schaffen oder als


  1. a. a. O. B. III Kap. 44, E. Cr. I 399 ff.
  2. In einigen Handschriften folgen noch die beiden Bruchstücke die in E. Cr. I als Kap. 45 und 46 zum erstenmal abgedruckt sind. Wir haben ihren Inhalt an früherer Stelle verwendet, wo es sachlich angemessen war (am Anfang des vorausgehenden Abschnittes über die Läuterung des Willens).
  3. Als einen kleinen Leitfaden der Mystik (als theologische Disziplin verstanden) können wir die Abhandlung über die dunkle positive und negative Gotteserkenntnis bezeichnen. P. Gerardo hat sie zum erstenmal in den Werken des Heiligen abgedruckt (E. Cr. III 287 ff.) und in der Einleitung dazu (S. 271 ff.) einige [98] Gründe angegeben, die für und gegen die Echtheit dieser Schrift geltend gemacht worden sind. Meines Erachtens sprechen gegen die Echtheit noch eine Reihe von inneren Gründen, die P. Gerado nicht angibt. Ich kann daher nicht annehmen, daß die Schrift von dem Heiligen selbst stammt, und nur mit großer Vorsicht davon Gebrauch machen. Der Verfasser hat jedenfalls die Schriften des hl. Vaters sehr genau gekannt; er gibt scharfe und klare Zusammenfassungen, aber – wie mir scheint – im ganzen mit einer gewissen Verlagerung des Schwerpunktes zum rein Natürlichen und Aktiven hin und wohl ohne eigene Erfahrung in den höchsten, rein passiven Gebetsweisen, um die es dem Heiligen vor allem zu tun ist.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/097&oldid=- (Version vom 3.8.2020)