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und verkündigt das Christentum mehr wie jeder andere Apostel in seinem Unterschiede vom Judentum, in seinem neuen selbständigen Wesen. Darum erschließt er die Fülle des Heiles in Christo. Paulus lehrt in Christo das Ende der Wege Gottes mit der Menschheit und im Christentum die Vollendung des menschlichen Geschlechts. Dem Heidenapostel ist das Christentum die Religion der Menschheit.

 b) Was aber die Form der paulinischen Briefe anlangt, so erkennt man den ehemaligen Schriftgelehrten an der Lehrhaftigkeit seines Vortrags überhaupt, die ihn vor allen Aposteln auszeichnet, und den rabbinisch geschulten Mann an der (dialektischen) Beweglichkeit seiner Gedanken; Beredsamkeit im Sinne der Griechen zeigt er nicht, aber wenn er diesen Mangel an Rhetorik selbst nicht leugnet (1 Kor. 2, 1. 4, 13), so ist seine Rede doch gewaltig. Schon Irenäus sagt: Paulus redet oft in „Hyperbatis“, d. h. seine Rede überstürzt sich, weil sie dem Strome gleicht und sein Geist voll gewaltigen Dranges ist. Seine Rede drängt unaufhaltsam zum Ziele, wie der, der sie führt, rastlos nach seinem großen Lebensziele, der Bekehrung der Heiden, ringt. Endlich erkennt man den Apostel der Heiden an der großen Mannigfaltigkeit der Darstellung. Er ist den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche geworden, von dem einen großen Gedanken beseelt, das Evangelium allen zu bringen, damit sie durch dasselbe alle selig werden.

 Die paulinischen Briefe sind von der Kritik (vgl. p. 3) für teilweise (oder auch ganz) erdichtet oder doch wenigstens für interpoliert erklärt worden. Aber wann sollen sie erdichtet sein? Der Gnostiker Marcion, der c. 144 n. Chr. die Briefe des Apostels im Sinn seiner Irrlehre korrigiert hat (es gilt dies von den 9 Gemeindebriefen und dem Philemonbrief), ist ein indirekter Zeuge dafür, daß in der Kirche der damaligen Zeit die Briefe des Apostels als echt anerkannt waren. Andrerseits lebten Repräsentanten der Empfänger der Briefe bis an den Anfang des 2. Jahrhunderts. Sie müßten also innerhalb des dazwischen liegenden etwa 40jährigen Zeitraums entstanden sein, wenn sie erdichtet wären. Der große Abstand, welchen die sonst bekannten Erzeugnisse jener Jahrzehnte hinsichtlich der Tiefe und des Reichtums der Gedanken und der Kraft der Durchführung den paulinischen Briefen gegenüber zeigen, läßt erkennen, daß letztere