Seite:Hoechstetter Vielleicht auch Traeumen.pdf/46

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

EIN MUTTERLIED

Wir dachten einst, was in uns lebt,
Kommt uns erhöht noch in den Kindern wieder
Gleich einem Rausch, der nimmer stirbt –
Wir dachten einst, die Welle, die uns hebt,

5
Stürmt fort in ihnen, wie die hohen Lieder,

Mit denen uns die Liebe wirbt.
Uns trug die Welle einer Leidenschaft,
Uns trug der Freiheit und des Willens Kraft,
Wir wollten voll Inbrunst und frohem Schrecken

10
Titanenseelen erwecken. – – – – –

– – – – – – – – – – –
Mein kleiner Niels, der freit die reiche Braut –
Mein kleiner Frank ist Pfründenhüter worden –
Und aus den Augen meiner Tochter schaut
Die Selbstsucht, die gewinnt an allen Orten –

15
Und meine Jüngste, über deren Bett

Einst meine ersten Witwentränen flossen,
Ist eine Tänzerin und tanzt vor dem Parkett
Beethovens Trauermarsch, den Leidgenossen,
Denselben, den sie an dem Tage spielten,

20
Als sie die Erde auf das Grab dir wühlten.

– – – – – – – – – – –
Oh alle sind sie „gut“
Und alle tragen Ehre
An ihrem Namen –

Empfohlene Zitierweise:
Sophie Hoechstetter: Vielleicht auch Träumen. Müller, München und Leipzig 1906, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hoechstetter_Vielleicht_auch_Traeumen.pdf/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)