steinfassaden auf die vornehmheit keinen einfluß hat, ist ihm unbekannt. Er greift daher, da es ihm an geld gebricht, zu surrogaten. Ein lächerliches unterfangen. Denn die, die er betrügen will, die, deren mittel es erlauben würden, sich mit diamanten, pelzwerk und steinfassaden zu umgeben, können nicht getäuscht werden. Die finden solche anstrengungen komisch. Und für die unter ihm stehenden sind sie wieder unnötig, wenn er sich seiner überlegenheit sowieso bewußt ist.
In den letzten jahrzehnten hat die imitation das gesamte bauwesen beherrscht. Die tapete ist aus papier, aber das durfte sie beileibe nicht zeigen. Seidendamast-, gobelin- oder teppichmuster mußte sie daher erhalten. Die türen und fenster sind aus weichem holz. Da aber hartes holz teurer ist, mußten sie wie solches gestrichen werden. Das eisen mußte durch bronze- oder kupferanstrich diese metalle imitieren. Dem zementguß aber, einer errungenschaft dieses jahrhunderts, stand man vollständig hilflos gegenüber. Da an und für sich zement ein prachtvolles material ist, hatte man nur einen gedanken bei seiner verwertung, einen gedanken, den man jedem neuen stoff zuerst entgegenbringt: Was kann man mit ihm imitieren? Man gebrauchte ihn als surrogat für stein. Und da der zementguß so außerordentlich billig ist, trieb man recht parvenümäßig die weitestgehende verschwendung. Eine wahre zementseuche ergriff das jahrhundert. „Ach, lieber herr architekt, können sie nicht noch um fünf gulden kunst mehr auf die fassade bringen?“ sagte da wohl der eitle bauherr. Und der architekt nagelte so viel gulden kunst auf die fassade, als von ihm verlangt wurde, und manchmal etwas darüber.
Gegenwärtig wird der zementguß zur imitation von
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/102&oldid=- (Version vom 1.8.2018)