Die Baumaterialien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolf Loos
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Baumaterialien
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 99–104
Herausgeber: Franz Glück
Auflage:
Entstehungsdatum: 1898
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: PDF bei Commons
Kurzbeschreibung: Loos pflegte eine Kleinschreibung (außer bei Satzanfängen und Namen) auch bei seinen Titeln, wie den Inhaltsverzeichnissen zu entnehmen ist (im Buch selbst sind die Titel in Versalien gesetzt). Um Irritationen zu vermeiden, werden die Titel in der gewohnten Groß-Kleinschreibung gegeben
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[99]
DIE BAUMATERIALIEN
(28. august 1898)


Was ist mehr wert, ein kilo stein oder ein kilo gold? Die frage erscheint wohl lächerlich. Aber nur für den kaufmann. Der künstler wird antworten: Für mich sind alle materialien gleich wertvoll.

Die Venus von Milo wäre gleich wertvoll, ob sie nun aus schotterstein – in Paros werden die straßen mit parischem marmor geschottert – oder aus gold bestünde. Die Sixtinische Madonna würde keinen kreuzer teurer zu stehen kommen, wenn Raffael auch einige pfund gold in die farben gemischt hätte. Ein kaufmann, der daran denken müßte, die goldene Venus im bedarfsfalle einzuschmelzen oder die Sixtinische Madonna abzuschaben, wird freilich anders rechnen müssen.

Der künstler hat nur einen ehrgeiz: das material in einer weise zu beherrschen, die seine arbeit von dem werte des rohmaterials unabhängig macht. Unsere baukünstler aber kennen diesen ehrgeiz nicht. Für sie ist ein quadratmeter mauerfläche aus granit wertvoller als einer aus mörtel.

Der granit ist aber an und für sich wertlos. Draußen auf dem felde liegt er, jedermann kann ihn an sich nehmen. Oder er bildet ganze berge, ganze gebirge, die man nur abzugraben braucht. Man schottert mit ihm die straßen, man pflastert mit ihm die städte. Es ist der gemeinste stein, das gewöhnlichste material, das uns bekannt ist. Und doch soll es leute geben, die ihn für unser wertvollstes baumaterial halten.

Diese leute sagen material und meinen arbeit. Menschliche arbeitskraft, kunstfertigkeit und kunst. Denn der [100] granit verlangt viel arbeit, um ihn dem berge zu entreißen, viel arbeit, ihn nach seinem bestimmungsort zu bringen, arbeit, ihm die richtige form zu geben, arbeit, ihm durch schleifen und polieren das gefällige aussehen zu verleihen. Vor der polierten granitwand wird unser herz dann in ehrfurchtsvollem schauer erbeben. Vor dem material? Nein, vor der menschlichen arbeit.

Also wäre der granit doch wertvoller als der mörtel? Das ist damit noch nicht gesagt. Denn eine wand mit einer stuckdekoration von der hand Michelangelos wird auch die bestpolierte granitmauer in den schatten stellen. Nicht nur die quantität, sondern auch die qualität der arbeitsleistung ist für den wert eines gegenstandes mitbestimmend.

Wir leben in einer zeit, die der quantität der arbeit den vorzug gibt. Denn die läßt sich leicht kontrollieren, ist für jedermann sofort auffällig und erfordert keinen geübten blick oder sonstige kenntnisse. Da gibt es keine irrtümer. Soundsoviel taglöhner haben soundsoviel stunden zu soundsoviel kreuzern an einer sache gearbeitet. Das kann sich jedermann ausrechnen. Und man will jedermann den wert der dinge, mit denen man sich umgibt, leicht verständlich machen. Sonst hätten sie ja keinen zweck. Da müssen dann jene stoffe angesehener sein, die eine längere arbeitszeit erfordern.

Das war nicht immer so. Früher baute man mit den materialien, die einem am leichtesten erreichbar waren. In manchen gegenden mit backstein, in manchen mit stein, in manchen wurde die mauer mit mörtel überzogen. Die so bauten, kamen sich wohl neben den steinarchitekten nicht ganz vollwertig vor? Ja weshalb denn? So etwas fiel niemandem ein. Hätte man steinbrüche in der [101] nähe gehabt, so hätte man eben mit stein gebaut. Aber von weit her steine zum bau zu bringen, schien mehr eine frage des geldes als eine frage der kunst. Und früher galt die kunst, die qualität der arbeit, mehr als heutzutage.

Solche zeiten haben auch auf dem gebiete der baukunst stolze kraftnaturen hervorgebracht. Fischer von Erlach brauchte keinen granit, um sich verständlich zu machen. Aus lehm, kalk und sand schuf er werke, die uns so mächtig ergreifen wie die besten bauwerke aus den schwer zu bearbeitenden materialien. Sein geist, seine künstlerschaft beherrschten den elendsten stoff. Er war imstande, dem plebejischen staube den adel der kunst zu verleihen. Ein könig im reiche der materialien.

Gegenwärtig aber herrscht nicht der künstler, sondern der taglöhner, nicht der schöpferische gedanke, sondern die arbeitszeit. Und auch dem taglöhner wird schrittweise die herrschaft aus den händen gewunden, denn es hat sich etwas eingefunden, das quantitative arbeitsleistung besser und billiger herstellt, die maschine.

Aber jede arbeitszeit, ob die der maschine oder die des kuli, kostet geld. Wenn man aber kein geld hat? Dann beginnt man, die arbeitszeit zu erheucheln, das material zu imitieren.

Die ehrfurcht vor der quantität der arbeit ist der fürchterlichste feind, den der gewerbestand besitzt. Denn sie hat die imitation zur folge. Die imitation aber hat einen großen teil unseres gewerbes demoralisiert. Aller stolz, aller handwerksgeist ist aus ihm gewichen. „Buchdrucker, was kannst du?“ – „Ich kann so drucken, daß man es für lithographiert hält.“ – „Und lithograph, was kannst du?“ – „Ich kann lithographieren wie gedruckt.“ – „Tischler, was kannst du?“ – „Ich kann [102] ornamente schnitzen, die so flott aussehen, als hätte sie der stukkateur gemacht.“ – „Stukkateur, was kannst du?“ – „Ich imitiere gesimse und ornamente genau und mache haarfugen, die jeder für echt hält, so daß alles wie die beste steinmetzarbeit aussieht.“ – „Das kann ich auch!“ ruft stolz der klempner, „wenn man meine ornamente streicht und sandelt, so kann niemand auf den gedanken kommen, daß sie aus blech sind.“ – Traurige gesellschaft!

Es geht ein geist der selbstentwürdigung durch unser gewerbe. Man wundere sich nicht, daß es diesem stand nicht gut geht. Solchen leuten soll es gar nicht gut gehen. Tischler, sei stolz, daß du ein tischler bist! Der stukkateur macht ornamente. Neidlos und wunschlos sollst du an ihm vorbeigehen. Und du, stukkateur, was geht dich der steinmetz an? Der steinmetz macht fugen, muß leider fugen machen, weil kleine steine billiger zu stehen kommen als große. Sei stolz darauf, daß deine arbeit die kleinlichen fugen, die säule, ornament und mauer zerschneiden, nicht aufweist, sei stolz auf deinen beruf, sei froh, kein steinmetz zu sein!

Aber ich rede in den wind. Das publikum will keinen stolzen handwerker. Denn je besser einer imitieren kann, desto mehr wird er vom publikum unterstützt. Die ehrfurcht vor den teueren materialien, das sicherste zeichen für das parvenüstadium, in dem sich unser volk befindet, erlaubt es nicht anders. Der parvenü findet es beschämend, sich nicht mit diamanten schmücken, beschämend, kein pelzwerk tragen, beschämend, nicht im steinpalast wohnen zu können, seitdem er in erfahrung gebracht hat, daß diamanten, pelzwerk und steinfassaden viel geld kosten. Daß das fehlen von diamanten, pelzwerk oder [103] steinfassaden auf die vornehmheit keinen einfluß hat, ist ihm unbekannt. Er greift daher, da es ihm an geld gebricht, zu surrogaten. Ein lächerliches unterfangen. Denn die, die er betrügen will, die, deren mittel es erlauben würden, sich mit diamanten, pelzwerk und steinfassaden zu umgeben, können nicht getäuscht werden. Die finden solche anstrengungen komisch. Und für die unter ihm stehenden sind sie wieder unnötig, wenn er sich seiner überlegenheit sowieso bewußt ist.

In den letzten jahrzehnten hat die imitation das gesamte bauwesen beherrscht. Die tapete ist aus papier, aber das durfte sie beileibe nicht zeigen. Seidendamast-, gobelin- oder teppichmuster mußte sie daher erhalten. Die türen und fenster sind aus weichem holz. Da aber hartes holz teurer ist, mußten sie wie solches gestrichen werden. Das eisen mußte durch bronze- oder kupferanstrich diese metalle imitieren. Dem zementguß aber, einer errungenschaft dieses jahrhunderts, stand man vollständig hilflos gegenüber. Da an und für sich zement ein prachtvolles material ist, hatte man nur einen gedanken bei seiner verwertung, einen gedanken, den man jedem neuen stoff zuerst entgegenbringt: Was kann man mit ihm imitieren? Man gebrauchte ihn als surrogat für stein. Und da der zementguß so außerordentlich billig ist, trieb man recht parvenümäßig die weitestgehende verschwendung. Eine wahre zementseuche ergriff das jahrhundert. „Ach, lieber herr architekt, können sie nicht noch um fünf gulden kunst mehr auf die fassade bringen?“ sagte da wohl der eitle bauherr. Und der architekt nagelte so viel gulden kunst auf die fassade, als von ihm verlangt wurde, und manchmal etwas darüber.

Gegenwärtig wird der zementguß zur imitation von [104] stukkateurarbeiten verwendet. Bezeichnend für unsere wiener verhältnisse ist es, daß ich, der ich gegen die vergewaltigung der materialien, gegen die imitation energisch front machte, mit der bezeichnung materialist abgefertigt wurde. Man beobachte nur den sophismus: so nannten mich die leute, die dem material einen solchen wert beilegen, daß sie seinetwegen vor keiner charakterlosigkeit zurückschrecken und zu surrogaten greifen.

Die engländer haben uns ihre tapeten herübergebracht. Ganze häuser konnten sie leider nicht herüberschicken. Aber an den tapeten sehen wir schon, was die engländer wollen. Das sind tapeten, die sich nicht schämen, aus papier zu sein. Warum auch? Es gibt gewisse wandverkleidungen, die mehr kosten. Aber der engländer ist kein parvenü. In seiner wohnung wird man nie auf den gedanken kommen, daß das geld nicht gereicht hat. Auch seine kleiderstoffe sind aus schafwolle und bringen dies ehrlich zur schau. Würde die führung in der kleidung den wienern überlassen, so würde die schafwolle wie samt und atlas gewebt werden. Die englischen kleiderstoffe, also unsere kleiderstoffe, zeigen nie das wienerische: „i möcht gern, aber i kann nöt“, obwohl sie nur aus wolle bestehen.

Und so wären wir denn bei einem kapitel angelangt, das in der architektur die wichtigste rolle spielt, bei dem prinzipe, welches das abc jedes architekten bilden sollte, dem prinzipe der bekleidung. Die erläuterung dieses prinzips sei dem nächsten artikel vorbehalten.