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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

dürfte es scheinen, wenn man sie um der Ehre und Geneigtheit Gottes willen pflegte. Man soll also der Herrin gedenken, wenn man ihre Dienerinnen freien will. In diesem Sinne wollen wir deren Männer genannt werden; jene aber soll in Wirklichkeit unsere Frau sein, nicht bloß heißen.[1]

[531 M.] [15] 81 Sara übergibt (ihre Sklavin dem Abraham) nicht sofort nach seiner Ankunft im Lande Kanaan, sondern erst nach einem zehnjährigen Aufenthalt.[2] Man muß sorgfältig danach forschen, was das bedeutet. Im Anfang unserer Entwicklung kennt die Seele als gemeinsame Pflegekinder nur die Affekte: Trauer, Schmerz, Furcht, Begierde und Lust[3], die durch die Sinnesorgane auf sie eindringen. Denn der Verstand vermag noch nicht zu sehen und das Gute und das Schlechte und deren Unterschiede genauer zu bestimmen, sondern ist noch schläfrig und hat seine Augen wie im tiefen Schlummer geschlossen. 82 Wenn wir aber später die Kinderschuhe ausziehen und an der Schwelle des Jünglingsalters stehen, wächst sofort aus einer Wurzel ein doppelter Stamm empor: Tugend und Laster. Wir nehmen beide in unser Bewußtsein auf und wählen auf jeden Fall eines davon, und zwar wer von guter Naturanlage ist, die Tugend, wer von entgegengesetzter, das Laster.[4] 83 Nachdem dies im voraus kurz angedeutet ist, muß noch in Erinnerung gebracht werden, daß Ägypten das Symbol der Affekte und das Land Kanaan das der Laster ist[5]. Daher läßt Abraham mit Recht sein Volk von Ägypten aufbrechen und führt es ins Land Kanaan[6]. 84 Denn der Mensch erhält, wie gesagt, mit der Geburt die ägyptischen Affekte als Wohnsitz und kettet sich an Lust und Schmerz. Später unternimmt er dann den Auszug zum Laster, wenn nämlich die Vernunft bereits an Scharfblick zugenommen

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/025&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. Vgl. Philo quaest. in Gen. III § 21.
  2. Vgl. 1 Mos. 16, 3.
  3. D. s. nach der epikureischen (vgl. Usener Epicurea Fg. 398) und stoischen Lehre (vgl. Arnim StVF. I 211 III 385ff.) die Affekte des Menschen. Vgl. Über Abraham § 236. Über die Landwirtschaft § 83. Über die Nachstellungen § 119.
  4. Vgl. Über die Geburt Abels § 20ff. (s. Anm.), wo das Motiv von der αἵρεσις κακίας ἢ ἀρετῆς im Anschluß an den prodikeischen Mythos vom Herakles am Scheidewege breit ausgeführt wird.
  5. Zur allegorischen Deutung Ägyptens vgl. oben § 20 und Über die Nachkommen Kains § 155 und Anm. Über die gewöhnliche Deutung Kanaans (σάλος) vgl. Über die Nüchternheit § 44 und Anm. 1.
  6. S. 1 Mos. 12, 10.