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Zustand des Rausches verharrt, der die mit rechter Vernunft gepaarte, nüchterne Trunkenheit ist. 167 Das ist derjenige, dem die Gottesworte den Namen Isaak gaben und den die Seele nicht zu verschiedenen Zeiten empfangen und geboren hat; denn es heißt: „Sie gebar, indem sie empfing“ (1 Mos. 21, 2), gleichsam zeitlos.[1] Denn das Erzeugte war nicht ein Mensch, sondern eine vollkommen reine Gesinnung, die schon von Natur und nicht erst durch ihr Streben schön war, weshalb auch von der, die sie gebar, gesagt wird: sie habe das Weibliche verlassen (1 Mos. 18, 11), das heißt das Hergebrachte, Vernunftgemäße und Menschliche. 168 Denn neuartig, noch über Vernunft stehend und wahrhaft göttlich ist das selbstbelehrte Geschlecht, das nicht aus menschlichen Gedanken, sondern aus einer gottbegeisterten Raserei entstand. Oder weißt du etwa nicht, daß die Hebräerinnen für die Geburt keine Ammen brauchen, sondern, wie Moses sagt (2 Mos. 1, 19), „gebären, bevor die Ammen hineingegangen sind“, nämlich Methoden, Künste und Wissenschaften, die allein die Natur zur Helferin haben? (Die Schrift) gibt auch sehr schöne und zutreffende Definitionen des Selbstbelehrten, indem sie es einmal als dasjenige bezeichnet, das schnell gefunden wird, das andere Mal als das, „was Gott gegeben hat“. 169 Was nämlich gelehrt wird, braucht lange Zeit, was aber der Natur entspringt, ist schnell und in gewisser Weise zeitlos; ferner hat jenes einen Menschen, dieses Gott zum Lehrer. Die erste dieser beiden Definitionen hat die Schrift in die Form einer Frage gekleidet: „was ist dies, was du so schnell fandest, mein Kind“, die zweite in die Form einer Antwort: „was Gott der Herr gegeben hat“ (1 Mos. 27, 20).[2] [31] 170 Es gibt auch noch eine dritte Definition des Selbstbelehrten, nämlich das, was von selbst emporsteigt. Es heißt nämlich in der Mahnrede: „Ihr werdet nicht säen, und ihr werdet auch nicht ernten, was von


  1. Isaak wird als der von Natur Weise und Tugendhafte dem Asketen Jakob, der durch mühevolle Übungen die Tugend erwerben muß, gegenübergestellt De congr. erud. grat. § 34ff., in derselben Weise als der selbstbelehrte Sohn der Sarah dem fremder Lehre bedürftigen Sohn der Hagar De mutat. nomin. § 255. Über den Zusammenhang mit der griechischen Lehre von Naturanlage, Lehre und Übung vgl. Leisegang, Der heilige Geist I 147. Die (biblische) Ableitung des Namens von צחק‎ „lachen“ legte die Auffassung Isaaks als des mühelos zur Weisheit Gelangenden nahe.
  2. Vgl. Über die Geburt Abels § 64 mit Anm.; Über die Trunkenheit § 119f.; Über die Unveränderlichkeit Gottes § 92. Man beachte, daß die ersten von Philo angeführten Worte Isaak spricht.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/044&oldid=- (Version vom 21.5.2018)