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selbst aus ihr emporsteigt“ (3 Mos. 25, 11):[1] das Natürliche bedarf keiner Kunst, da Gott es säet und durch seine Ackerbaukunst zur Reife bringt, so daß es scheint, als käme es von selbst, während es tatsächlich nicht von selbst kommt, außer insofern es menschlicher Fürsorge in keiner Weise bedarf. 171 (Die Schrift) will damit weniger ermahnen als vielmehr eine bloße Meinung äußern; denn als Ermahnung hätte sie gesagt: „Ihr sollt nicht säen, sollt nicht ernten“, als Äußerung einer Ansicht aber heißt es: „Ihr werdet nicht säen, und ihr werdet auch nicht ernten, was von selbst kommt.“[2] Denn bei allen Dingen, die wir von selbst aus der Natur hervorgehen sehen, finden wir, daß weder ihr Ursprung noch ihr Ende durch sie selbst [572 M.] verursacht wird; die Aussaat bedeutet also soviel wie Ursprung, die Ernte soviel wie Ende.[3] 172 Jenes Wort ist aber besser so zu verstehen: jeder Ursprung und jedes Ende kommt von selbst, d. h. ist der Natur, aber nicht unser Werk. Denn was ist z. B. der Ursprung des Lernens? Offenbar doch die in dem, der belehrt wird, vorhandene Natur, die aufnahmefähig ist für die Einzelbetrachtungen. Und welches ist wiederum der Ursprung der Vervollkommnung? Wenn man es ohne Rückhalt sagen soll, die Natur. Denn Fortschritte vermag wohl auch der Lehrende zu bewirken, die höchste Vollkommenheit jedoch allein Gott, die beste Natur.[4] 173 Wer in diesen Lehren aufwächst, ist von endlosen Mühen befreit und erfreut sich des ewigen Friedens. Nicht verschieden ist von ihm nach den Worten des Gesetzgebers der Friede des siebenten Tages; denn an ihm ruht sich die Schöpfung aus, indem sie den Schein zu wirken ablegt.[5] 174 Mit Recht heißt es daher: „Und der Sabbat der Erde wird für euch eine Speise sein“ (3 Mos. 25, 6), was allegorisch gemeint ist; denn Nahrung und Genuß ist allein das Ausruhen in Gott, das das höchste


  1. Es ist vom Sabbatjahr die Rede. Daher die Heranziehung des Sabbatgesetzes § 173. Die § 174 herangezogene Stelle bedeutet in Wahrheit „der in der Ruhe (ohne Feldarbeit) erwachsende (Ertrag) soll euch ernähren“. I. H.
  2. Vgl. die Anm. zu der gleichen Unterscheidung des Verbotes und der Aussage Ü. d. Trunkenh. § 138; V 53, 1. Μ. A.
  3. Vgl. die Entgegensetzung von φύσις und τέχνη bei Arnim, Stoic. vet. fr. II 1044.
  4. Vgl. All. Erkl. I § 49 mit Anm.; ebd. § 82; II § 46f.; III § 195.
  5. Diese allegorische Erklärung des Sabbats hat Philo All. Erkl. I § 6, 16 gegeben, wo die Anm. zu vergleichen ist. [Vgl. M. Adler, Studien zu Philon v. Alex. S. 73ff.]
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/045&oldid=- (Version vom 21.5.2018)