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Der nachtfertige Condukteur wartete und wartete, wußte nicht, wo sein Schlafkamerad so lange bleibt, bis er auf der Gasse einen Lärm vernahm, da fiel ihm im halben Schlaf der Gedanke ein: „Was gilts, der arme Mensch ist an die Haus-Thüre kommen, ist auf die Gasse hinausgegangen, und gepreßt worden.“ Denn wenn die Engländer viel Volk auf ihre Schiffe brauchen, so gehen unversehens bestellte starke Männer Nachts in den gemeinen Wirthsstuben, in verdächtigen Häusern und auf der Gasse herum, und wer ihnen alsdann in die Hände kommt und tauglich ist, den fragen sie nicht lange: Landsmann, wer bist du? oder Landsmann, wer seid ihr? sondern machen kurzen Prozeß, schleppen ihn, – gern oder ungern, – fort auf die Schiffe, und Gott befohlen! Solch eine nächtliche Menschenjagd nennt man Pressen; und deßwegen sagte der Condukteur: „Was gilts, er ist gepreßt worden!“ – In dieser Angst sprang er eilig auf, warf seinen Rockelor um sich, und eilte auf die Gasse, um wo möglich den armen Schelm zu retten. Als er aber eine Gasse und zwey Gassen weit dem Lärmen nachgegangen war, fiel er selber den Pressern in die Hände, wurde auf ein Schiff geschleppt, – ungern – und den andern Morgen weiters. Weg war er. Nachher kam der junge Mensch im Hause wieder zu sich, eilte, wie er war, in sein Bette zurück, ohne den Schlafkameraden zu vermißen, und schlief bis in den Tag. Unterdessen wurde der Condukteur, um 8 Uhr auf der Post erwartet, und als er immer und immer nicht kommen wollte, wurde ein Postbedienter abgeschickt, ihn zu suchen. Der fand keinen Condukteur, aber einen Mann mit blutigem

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Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/205&oldid=- (Version vom 1.8.2018)