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Wenn man allnachts Jammerchoräle geschändeter Mütter und Mädchen hört; Arbeit, Mühe und Hoffen in Schutt und Asche wandeln sieht, zieht man den Gurt um sein eigenes Leben enger und schrumpft dabei so sehr zusammen, daß man sich mit einer Kerze suchen muß.

Der Mensch gewöhnt sich an alles...

Wolf Schächtel, der ein großes Tuchwarenlager hatte (hatte!), machte sich zuweilen Gedanken über den Lauf der Dinge, denn er war ein gescheiter Mensch und auch den Büchern nicht abhold. Ob er noch auf bessere Zeiten hoffte, er wußte es nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Freilich: seine Frau und Kinder vertröstete er immer auf bessere Zeiten. So in aller Stille, denn man war vor den eigenen Wänden nicht sicher. In jeder Ritze steckte das Ohr eines russischen Gendarmen. Er selber (ich meine Wolf Schächtel), er selber las in Verborgenheit den „Natan“. Ob er noch hoffte? Ein Ozean von Frevel und Niedertracht brandete um ihn her und an dem Strande saß Gesindel und „besseres“ Gesindel und fischte und schrie mit der Kosakenbrut zusammen. Er glaubte, die Welt müsse in Schlechtigkeit versinken.

Er selber hatte (wie man so sagt) nicht zu leiden gehabt. Das Haus, mit Laden und Lager, war eines Nachts von Kosaken in Brand gesteckt und in Asche umgetan worden. Er trug den Verlust mit kalter Ruhe. Man hatte überhaupt Schweres leicht zu tragen gelernt. Zuhause aber bei ihm war’s still. Es gelang ihm in den Zeiten, da die Not am schwersten war und die Russengeißel wütete, manches Übel und

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Sternbach: Wenn die Schakale feiern. Weckruf-Verlag, Weimar 1917, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SternbachWennDieSchakaleFeiern.pdf/54&oldid=- (Version vom 1.8.2018)