Zum Inhalt springen

Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/119

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

In der poetischen Erzählung „Die Hexe“ (Widjma), 1847, kehrt ein verrücktes Weib mit einer Zigeunerbande von Bender nach der Ukraine zurück, nachdem sie ihre außerehelichen Zwillinge, die ihr gestohlen worden sind, vergeblich gesucht hat. Sie war durch Heilkunde vermittels Zauberkräuter berüchtigt; allein sie war fromm und suchte das Sterbebett ihres Verführers auf. Wegen Zauberei wurde sie jedoch von bösen Geistern in einem sumpfigen Teich ertränkt und ohne Priester begraben. Aber in den Grabhügel wurde ein Pflock aus Espenholz gesteckt,[1] den die Mädchen so lange mit ihren Tränen benetzten, bis ein Baum aus ihm emporwuchs. In der Ballade „Kalyna“ (Schneeball), 1847, pflanzt ein Mädchen auf einen Grabhügel einen Schneeball, der mit Tränen befeuchtet wird. Es betet, daß Gott ihn nachts mit Tau benetze, damit ihr Liebling aus der andern Welt in der Gestalt eines Vogels dahin fliege. Dann wolle sie selbst als Vogel mit ihm nach der andern Welt schweben. So vergingen drei Jahre. Im vierten Jahre wünscht sie, er möchte sie nur mit seinen Zweigen vor der Sonne schützen und sie mit seinem Taue waschen. Am frühen nächsten Morgen sang ein Vogel auf dem Hügel. Das Mädchen war jedoch bereits entschlafen.

Noch zwei Beispiele seien angeführt! In dem Gedichte „Drei Wege“ (Try schljachy), 1847, wird erzählt, wie drei Brüder aus der Ukraine zogen, die Mutter, eine Schwester und eine Braut verlassend. Die Mutter pflanzte drei Eschen, die Schwester drei Ahornbäume und die Braut eine Kalyna. Sämtliche Bäume verwelkten und die Brüder kehrten nicht zurück.[2] „Dornbewachsen sind die Wege zu der Heimat. Niemals sollte man die fröhliche Elternhütte verlassen und fremden Boden betreten, sondern die eigene Erde bebauen.“


  1. Das Volk glaubt durch einen solchen Pflock die Hexe unschädlich gemacht zu haben.
  2. Wenn Prof. Tretiak in diesem Gedichte eine Reminiszenz von Mickiewicz’ Ballade „Budrys und seine drei Söhne“ erblickt, ist es ein großer Irrtum. Mit solchen Vergleichen wird die komparative Literaturforschung wahrhaftig nicht gefördert. Eher bietet es eine innere Verwandtschaft mit einer patriotischen Ballade „Die drei Brüder“ von dem slowenischen Dichter Aškerc dar.