Seite:Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied.pdf/12

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
'Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied': Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied

Dieses sein commentirtes Unser Vater war sehr lang, und litt häufige Abänderungen und Zusäze, weil ihm allzu vieles einfiel, daß Gott in seine Worte legen, worüber er ihn verantwortlich machen könnte, und wogegen er also auf das allerbestimmteste protestiren zu müssen glaubte. Weil ihm unter dem eigenen Lesen des Gebetes dennoch immer neue trübe Gedanken vor die Seele kamen; so gerieth er auf den glüklichen Einfall, es sich vorlesen zu lassen, und zwar etwas geschwinde, um ängstigenden Ideen keine Zeit zum Eindringen zu lassen. Zu Zeiten brach der Vorleser ob dem drollichten Commentar in ein lautes Gelächter aus, und dann lachte der Prinz aus vollem Halse mit, allein das hatte die für ihn sehr unangenehme Folge, daß nun, nach seinen Grundsäzen, das Gebet wieder von vorne angefangen werden mußte.

So haben sich denn Skrupel und Wollust in seinen Kopf und in seine Zeit getheilt, nur daß die leztere mehr Gewalt über ihn hatte, als die erstern. Er hielt sich ein Tagebuch, dessen fast einziger wesentlicher Inhalt nichts anders ist, als eine sehr lebendige Darstellung seiner Begierden, seiner Freuden und Leiden in Hinsicht auf diese Leidenschaft. Fast unaufhörlich war seine Einbildungskraft mit Ideen beschäftigt, welche in dieses Feld einschlugen. – Entzükkend war für ihn die Stelle: „Sättige dich an ihren Brüsten“ weil er darin die Erlaubnis fand ins Unendliche sich zu ergözen – aber dann machten ihm wieder andre Stellen schweren Kummer, besonders solche, in welchen er ein Verbot fand, die Blöße seines Weibes aufzudecken. Doch war eine milde Erklärung solcher Stellen unserm durch Lebensart und gewisse gefährliche Uebungen geschwächten Kranken zu einem leicht zu errathenden Behufe conditio sine qua non. – Er suchte deswegen Autoritäten auf. Einmal hielt er mit einer Bauernfrau ein examen rigorosum über den methodum wie sie