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'Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied': Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied

Hoffnung mehr übrig seyn, da schon die Natur ihm des bösen Stoffes mehr mitgetheilt hatte, als des Guten und dieser leztere durch Wollust noch vollends zerquetscht worden ist.

Das tiefdringende Auge des Fürsten schob den Vorhang weg, welcher die Zukunft verhüllte. Er sah voraus, daß, wenn er einst nicht mehr seyn würde, Leiden der bittersten Art seine Gemahlin erwarteten, die er mit unbegränzter Zärtlichkeit liebte, daß seine Schwiegertochter der ganzen Wuth seines auf sie erbitterten Sohnes, und vielleicht den Verfolgungen einer maitresse würde preis gegeben werden, daß seine Enkel und Enkelinnen von ihrem Vater nichts zu erwarten hätten, als Hindernisse zu ihrem Glükke, daß edle und brauchbare Diener verjagt, oder verscheucht, Schurken und Unwissende an deren Stelle gewählt, die Gerechtigkeitspflege durch Cabinetseingriffe gestört, Waldungen verschleudert, die Einkünfte geschmälert, eine kaiserliche Commission herbeigerufen, und daß endlich in dem Bezirke seines Schlosses, den vorher Reinheit der Sitten heiligte, das Laster frech herumtaumeln würde.

Das alles glaubte der edle Greis voraus zu sehen. Welche Entschließungen dieser trübe Blik in die Zukunft in ihm erzeugt habe, davon in meinem nächsten Briefe.

Dritter Brief.

Traurig war die Gemüthslage des alten Mannes. Je heller sein Geist in die Zukunft sah, desto lauter und ernster forderte sein Gewissen, daß er auf irgend eine Art künftigem Unglükke vorbeuge.

Zweifelsucht und Unentschlossenheit sind die natürlichen Gefährten des hohen Alters. Kömmt es nun gar darauf an, einem einzigen Sohne wehe zu thun, und ihn durch einen entscheidenden Schritt vor den Augen der Welt herabzuwürdigen, so muß ja wohl diese Unentschlossenheit den höchsten Gipfel erreichen. Das