Seite:Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied.pdf/5

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
'Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied': Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied

ins Düstere giengen, hatten schon viel Anziehendes für ihn. Aengstlichkeit war ein Hauptzug seines Charakters. Das ist alles, was ich aus dieser Periode seines Lebens habe erfahren können. Allein es giebt doch schon einigen Aufschlus über die nachherigen Phänomene seines Geistes.

Ein schröklicher Priester, der erste des Landes, den vermuthlich der Vater unsres Fürsten nicht durch Zurüksezung beleidigen wollte, oder den er vielleicht nicht genug kannte, ward zum unglüklichen Werkzeuge ausersehen, dem jungen Grafen die Grundsäze des Christenthumes beizubringen. Aber dieser reformirte Grosinquisitor kannte den liebevollen Vater Christi nicht. Er kannte nur den furchtbaren Rächer der kleinsten Schwächen, denn er hatte seine Idee von Gott aus der flammenden Bildersprache einiger alttestamentischen Hizköpfe geformt. Auch war er bettelarm in der einem Seelenhirten so nöthigen Menschenkenntnis. Der zarte, ängstlich-melancholische junge Graf bedurfte eines menschenliebenden, erbarmenden Gottes, der freundlich seinen Kindern die Vaterarme reicht, und ihnen eine sanfte Last auflegt. Allein sein geistlicher Tirann donnerte ihm einen allmächtigen Despoten in die Seele, welcher mit Grimm auf das kleinste Sündchen herabsieht und mit der Freude der Rachgier Qualen für den Sünder bereitet. „Verflucht ist, wer nicht alle Worte des Gesezes erfüllt“ brannte er ihm mit glühenden Buchstaben in das weiche, zaghafte Gemüth ein, ohne ihm zu sagen, welches Gesez den Christen bindet, und überhaupt, ohne ihm diese Stelle, die ihm noch Seelenkoliquen macht, vernünftig zu paraphrasiren.

Wie schädlich ein solcher Unterricht war, wirst Du aus dem, was folgt, sehen; aus seinen biblischen Wortklaubereien, aus seinen verworrenen Begriffen von dem Worte Gesez, und aus der Missethäterangst, mit welcher er so manche Worte der Schrift hörte, oder las.