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'Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied': Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied

Genug für Heute! Morgen wollen wir unsern geängstigten jungen Christen auf Reisen begleiten. Lebe wohl.

Zweiter Brief.

Der Religionsunterricht des jungen Grafen hatte zwei vorzüglich schädliche Seiten. Fürs erste wurde er nicht Kind, sondern ein zitternder Sklave Gottes – und dann ward ihm die Bibel in Bausch und Bogen als Norm für sein Leben vorgehalten, ohne die aufgehobenen Geseze des alten Bundes bestimmt von denjenigen zu trennen, welche jeden Christen verpflichten. Wenigstens ist der Fürst noch jezt wegen dieser Scheidung in Verlegenheit, und hütet sich in manchen Stükken, den Moses nicht zu beleidigen. Als Ehmann konsultirte er ihn immer und unter schweren Seufzern über die Lehre von den Weiberkrankheiten, und über die nach Beschaffenheit dieser Krankheiten von Gott verordnete Dauer der Enthaltsamkeit. Wo Moses ihm dunkel schien, mußte irgend ein Rabbi seine Fakkel hergeben. Als Jüngling schon glaubte er sich an gewisse Fasten gebunden und hielt gewisse Speisen für verboten. Von solchen Ideen gedrükt, bereisete er mit einem Hofmeister einen Theil Europens. Aber welche traurige Art zu reisen! Wann früh morgens Pferde gewechselt wurden, eilte er in den ersten besten Stall des Posthauses, wandte sein Angesicht gegen die aufgehende Sonne, und betete. Daß dieses vermuthlich abgeschmakte Gebete waren, wirst Du aus dem Verfolge sehen. Hatte er einen Fasttag; so mochte ihn der durch das Fahren gereizte Appetit noch so sehr plagen; er erlaubte sich dennoch nicht zu essen, sondern sah mit jämmerlicher Mine dem Hofmeister zu, der sich’s herzlich wohl schmekken ließ. Wenn andre Jünglinge gierig jeden Tropfen der Freude in sich schlürfen, die ihnen