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'Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied': Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied

Sinnlichkeit und Einbildungskraft darbiethen, oder die aus der Bereicherung des Geistes mit edeln und nüzlichen Kenntnissen erwächst; so war die Seele unsres frommen Jünglinges immer freudenleer. Er sah in den schönsten Theilen Europens nichts, als einen gefährlichen Garten voll reizender verbotener Früchte, worein ihn ein strenger Gott zu seiner Plage gesezt habe. Gerne hätte er seine Hände nach manchen dieser schönen und süssen Früchte ausgestrekt, allein der schrökliche Gedanke, daß ewige Verdammnis der sichere Lohn einer solchen Verwegenheit seyn würde, lähmte sie ihm.

So fuhr denn der zitternde Knecht Gottes mit Sklavenketten gebunden durch die Paradiese dieser Welt.[1] Sein wichtigstes Anliegen auf Reisen war, gelehrte Theologen aufzusuchen, welche ihm die furchtbarsten Stellen der Bibel milder deuteten. Aber es glükte diesen Männern nicht, heilenden Balsam in seine Wunden zu giessen, weil seine verschobene Seele die Klarheit und Stärke ihrer Beruhigungs- und Beweisgründe nicht fassen konnte. Einer derselben, ich weis nicht, war es der schwedische oder dänische Gesandschafts-Prediger in Wien, sagte ihm gerade heraus, er seye inkurabel.

Nach geendigten Reisen vermählte er sich mit einer Gräfin Luise von Wittgenstein-Berleburg. Sein Geist mußte sehr krank seyn, um nicht in den Armen dieser liebenswürdigen und vortrefflichen Dame zu genesen. Aber leider that auch diese von seinem Vater weislich ausgedachte Arznei keine Wirkung. Wollust zeigte sich bald als seine herrschende Leidenschaft, aber weit entfernt, durch ihre nun rechtmäsige Befriedigung aufgeheitert zu werden, leerte er sehr oft ihren Freudenbecher mit zitternder Hand aus.

  1. Italien und Frankreich.