Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/15

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und Heiligung anziehen und, wolgemerkt, den Leib nicht also halten, daß er die Seele hindre und Lüste in ihm wuchern, das heißt die Zeit benützen. – Zärtlinge, die ihr seid, Wächter eures Fleisches und des Fleisches eurer Kinder, die ihr mit der Erziehung, welche ihr euch selbst und euern Kindern gebt, nicht dem Leibe, dem ewigen Genoßen der Seele, sondern dem vergänglichen verderblichen Fleische Ehre thut und fröhnet: merkt das letzte. Wenn der Apostel von dem hohen Gedanken des Anziehens Jesu zur Misbilligung eurer leiblichen Gewöhnung und Erziehung übergeht, so ists freilich, wie wenn er von einem hohen lichten Gipfel in eine wüste Lache oder Pfütze niederführe; aber der Uebergang ist ganz recht, seine praktische Weisheit erfordert ihn. Es wird bei vielen Römern gewesen sein, wie bei euch, bei manchen unter euch, daß über dem üppigen fleischlichen Leben des Leibes alle Fähigkeit und alle Kraft verloren geht, die vergängliche Zeit zu benützen und auszubeuten. Wie sollen die, die ihre Glieder der Sünden nicht tödten, die im Waßerbade dargestellten Glieder des neuen Menschen waffnen mit der Waffenrüstung Christi und stählen, die steile Bahn der Heiligung zu gehn? Das bedenket und laßt euch also doch den Schluß des Apostels in unsrem Texte und den letzten Theil seiner Ermahnung zur Benützung eurer Zeit gefallen.


III.

 Zwei Theile dieses meines Vortrags sind geschloßen: ein kürzerer, ein längerer; einen dritten schließ ich an, einen kürzeren, denk ich, den ich aber mit Nerv und Kraft, wenn ich es nur könnte, versehen möchte. Indem ich ihn einleite, habe ich euch etwas zu erzählen. Ich halte es eigentlich nicht für in der Ordnung, in der Predigt zu erzählen, was nicht in der Bibel steht, so ein großer Ernst es mir mit aller Geschichte und auch mit manchen Geschichten ist; aber eine Ausnahme hat am Ende jede Regel, und ich bitt euch, einmal eine Ausnahme machen zu dürfen. Die Geschichte, von der ich rede, hat sich im Jahr 386 zu Mailand mit einem Menschen zugetragen, mit einem Afrikaner, zu Tagaste geboren, dem es in seiner Jugend gewis niemand ansah und anmerkte, daß er am Himmel der Kirche als Hirte und Lehrer viele Jahrhunderte hindurch, und wol bis ans Ende der Tage als einer der hellesten Sterne glänzen würde. Sein Name heißt, euch allen wolbekannt, Augustinus, und ihr wißt, oder könnt wenigstens wißen, daß er als Bischof von Hippo-Regius in Afrika gestorben ist. Seine Mutter hat ihn gleich nach seiner Geburt unter die Katechumenen aufnehmen laßen, aber getauft wurde er nicht. Als er heranwuchs, fieng er an zu studieren, wozu er ausgezeichnete Gaben von Natur empfangen hatte. Auf dem Wege seines Studiums kam er in allerlei schwere Irrtümer und auf jammervolle Abwege des Wißens und Erkennens. Aber nicht das allein. Er fiel in ein luxuriöses fleischliches Leben und lüderliches Wesen, so daß er auch einen unehelichen Sohn erzeugte. Er selbst hat ein Buch unter dem Titel „Bekenntnisse“ geschrieben, darinnen er in der demüthigsten und zugleich würdigsten Weise seine Verirrungen und Sünden bekennt, und der ganzen Nachwelt ein Beispiel heiligen Beichtens gibt. Von den Irrtümern seiner Erkenntnis kam er allmählig zurück, Gott erhörte die Gebete und Thränen seiner heiligen Mutter Monika und brachte ihn nach Mailand zu den Predigten des großen Kirchenlehrers Ambrosius, die auch einen Geist voll Tiefe und Reichtums der Gaben, wie er in Augustinus war, überwältigen konnten. Dazu gerieth er auf das Studium der Briefe des Lehrers der Heiden, des Apostels Paulus. Sein Geist wurde überzeugt, aber das Joch des fleischlichen Wesens und der Wollust vermochte er nicht abzulegen. Er hatte einen Freund, den er liebte, wie sein anderes Ich, Alypius mit Namen, einen Afrikaner und Landsmann, von mehr weiblicher Seele, vermöge welcher derselbe den ganzen Gang Augustins in unwandelbarer Treue verfolgte und mitmachte. Mit dem gemeinschaftlich rang er nach Frieden von seinen Lüsten und nach der Macht des heil. Geistes, ein Kind Gottes zu werden. In der Zeit des innersten Kampfes erzählte beiden ein Freund, der sie besuchte und Christ war, wie zufällig das Leben eines Helden in der Weltentsagung, des wahrhaft großen und heiligen Einsiedlers Antonius. Wie schämten sie sich diesem Lebenslaufe gegenüber ihres eigenen Lebenslaufes voller Weltlust und Fleischessünden, wie rangen sie nach Freiheit. In diesem Kampfe giengen sie mit einander in den Garten, der an ihrer Wohnung lag und da riß sich Augustinus los und warf sich voll Kampf und Jammer

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 008. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)