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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Paulo erzählt. Es erscheint uns im Saatfeld, von welchem das Evangelium redet, der mühevolle, thränenreiche Säemann, der im Herbste der Zeit dahin geht und seinen Samenwurf um so mehr in Hoffnung der Ewigkeit thun muß, weil ihm die Menschen, unter denen er lebt und aussäet, eine so geringe Hoffnung auf Erfolg zu faßen gestatten. Wenn wir nun diesen Säemann mit einander betrachten, so wird uns der Eindruck des Evangeliums, hoffe ich, nur verstärkt werden, und wenn uns das Evangelium den Wunsch erweckt, zum guten Lande zu gehören, so wird uns die Darlegung des apostolischen Lebenslaufes den Wunsch erregen, gegen einen Lehrer wie St. Paulus, denn er ist ja auch unser Lehrer, nicht undankbar zu sein, sondern die Früchte des Dankes, welche ihm viele Corinther nicht brachten bei seinen Lebenszeiten, über seinem Grabe zu bringen. Diese beiden Wünsche aber sind innerlich eins. Dankbare Schüler ihrer geistlichen Väter und Lehrer sind das gute Land, von welchem der HErr spricht; so wie Undank und Herzenshärtigkeit, schlechtes Weg- und Fels- und Dornenland auf das unzertrennlichste vereinigt ist.

 Indem ich mich nun anschicke euch aus der Epistel St. Paulum den thränenreichen Säemann vorzustellen, glaube ich diese meine Aufgabe lösen zu können, ohne eure Misbilligung fürchten zu müßen. Allerdings predige ich damit von einer Persönlichkeit, aber es ist die des heiligen Paulus, eine der größten, die je die Welt gesehen hat, deren Andenken der heilige Geist selbst in dem geschriebenen Worte Gottes so manchmal feiert, so daß auch wir uns keinen Augenblick schämen dürfen, dem Geiste der Wahrheit nachzugehen und Ihm nach zu feiern und zu erwägen, was unser Text von St. Paulus sagt. Da können wir uns, wir armen kleinen Leute, spiegeln, da kann uns die Demuth leicht werden, da kann sich unser Herz der geistlichen Freude, der Hochachtung und Ehrerbietung vor einem Lehrer ungehindert hingeben. Ihr dürft dabei auch nicht fürchten, daß ich euch die Sache durch einen Vortrag erschweren werde, welcher in dem Maaß länger ist als andre, in welchem der Text an Umfang andre Texte übertrifft. Hie muß man sich bescheiden und von vorn herein die Mühe aufgeben, mit kleinem Maße ein Meer zu meßen. Wir wollen den Inhalt des Ganzen so zusammenfaßen und wieder geben, daß ihr genug habet für einmal und euch selbst noch Raum und Anlaß genug überbleibt, Betrachtungen die Fülle anzustellen.

 Wenn ich oben gesagt habe, meine lieben Brüder, daß wir in diesem Texte den Säemann Paulus und seinen Lebenslauf vor Augen gestellt bekommen, so ist das allerdings richtig; aber es hat seine Beschränkung in dem, was wir hinzugesetzt haben: er trägt seinen Samenwurf mit Weinen. Damit ist schon angegeben, von welcher Seite uns St. Paulus im Texte dargestellt wird. Zwar finden wir, daß er gegenüber den falschen Aposteln, die sein Ansehen und seinen Einfluß in Corinth schmälern wollten, auch die Vorzüge seiner Abstammung erwähnt, rücksichtlich welcher er hinter ihnen keineswegs zurücksteht: „Sie sind Ebräer, ich auch; sie sind Israeliter, ich auch; sie sind Abrahams Samen, ich auch.“ Damit hat er seine Gliedschaft am großen Leibe der alttestamentlichen Kirche genugsam nachgewiesen, und es kann daraus kein Mensch einen Zweifel erheben an der leiblichen und geistlichen Zugehörigkeit St. Pauli zum Volke Gottes. Aber im Grunde ist es doch nur eine kurze Erwähnung, die er hievon macht, und wir richten unser Auge deshalb in diesem Texte nicht vorzugsweise auf diese Vorzüge. Andre Vorzüge, die St. Paulus in unsrer Stelle nicht erwähnt, weil sie seitabwärts von seinem Ziele und Wege liegen, erwähnen auch wir nicht, so gewis sie erwähnt werden müßten, wenn ein vollständiges Bild des heiligen Apostels gegeben werden sollte. Wir schweigen also von seiner Erziehung und Ausbildung, so wie von den leuchtenden natürlichen Gaben, die er hatte und die durch die vortreffliche Schule nur desto strahlender und überwindender hervortreten mußten. Auch reden wir nichts von seinem Temperamente, seinem Charakter, seiner Willenskraft und Beständigkeit, nichts von dem hohen Wunder seiner Bekehrung und von dem Einströmen seines ganzen reichen Wesens in die Gnadenfülle des Neuen Testamentes, nachdem er einmal von Christo Jesu ergriffen war. Nicht einmal die hohen Gnadengaben erwähnen wir, durch welche ihn der HErr nicht nur zu einem Propheten und Lehrer, sondern auch zu einem Apostel machte, der in keiner außerordentlichen Gabe den zwölf sogenannten hohen Aposteln nachsteht. Wenn er die Hände auflegte, so empfiengen die Täuflinge die außerordentlichen Gaben des heiligen Geistes ebensowohl, als wenn es Petrus, Johannes oder Jakobus that,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/159&oldid=- (Version vom 1.8.2018)