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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Eingange, der von der Nachfolge Gottes in der Menschen, und Bruderliebe handelt, wie eitel Gegentheil der Liebe, wie lauter Haß und Gift, welches von dem Sünder wider das sechste und siebente Gebot auf seine Umgebung trieft. Und in der That, sie erscheinen nicht bloß so im Zusammenhang unsres Textes, sondern sie sind es. Es ist ein Thema, reich und mannichfaltig an Anwendung, aber leicht von jedem auszuführen und zu behandeln, daß Uebertretung des sechsten und siebenten Gebotes eitel Lieblosigkeit, ja mörderischer Haß der Brüder ist. Was verdirbt mehr Seelen und Leiber, was zerstört mehr Unschuld, Glück und Freude, als die Selbstsucht und Maßlosigkeit des Hurers, des Unreinen, des Habsüchtigen? Was macht das Leben niederträchtiger und gemeiner, als schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz? – So wie nun der Eingang des Textes auf all den besonderen Inhalt desselben die Deutung und Erklärung der Lieblosigkeit bringt, so wirft das Ende der Epistel einen starken Schatten rückwärts auf die Mitte des Inhalts, auf Vers 3–7. „Ihr waret einmal Finsternis, nun aber seid Ihr ein Licht in dem HErrn, wandelt als Kinder des Lichtes, denn die Frucht des Lichtes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit“. Ihr seid ein Licht in dem HErrn, das heißt ja wohl hier nichts anders als: Ihr seid in dem HErrn, ihr seid Christen und mit Christo vereinigt, so muß auch euer Beispiel hinaus leuchten in eitel gutem Werk der Liebe und Reinigkeit. Ehedem waret ihr Finsternis, da leuchtetet ihr niemand, niemand konnte euch folgen, jetzt aber soll euer Verhalten andern zum Lichte dienen und ihnen die Wege weisen, an euch sollen alle, die noch in Finsternis und Todesschatten sitzen, sehen können, wie schön JEsus Christus, wie heilig und rein das Leben in Ihm ist, und ihr sollt, soviel auf euch ankommt, durch euer Leben und Verhalten alle Menschen um euch her reizen und bewegen, euren Weg zu gehen. Wie ein wunderbarer Baum des Lichtes, soll euer ganzes Leben übergehen von allerlei Frucht des Lichtes, von allerlei Gütigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit. Statt jener hurerischen Liebe, welche ihren Gegenstand niederzieht in Verderben und Verdammnis, soll euch die reine Güte erfüllen, die selbst gut ist und andern Gutes mittheilt. Statt der Unreinigkeit soll euch Gerechtigkeit durchdringen, jenes heilige Leben, das Gott gefällt. Statt der Habsucht soll gleichfalls Güte und Gerechtigkeit der Trieb eures Herzens sein, und anstatt aller schandbaren Worte, Narrentheidinge und Scherz, soll eitel Ausfluß der göttlichen Wahrheit und eines wahrhaftigen Gemüthes von euch kommen; wie ein Waßer des Lebens und wie reine Lüfte sollen euch überallhin, wohin ihr euch begebet, die holdseligen, Liebe, Friede und Gotteswort athmenden Gespräche eurer Lippen begleiten. Das soll sein, und wenn es nicht ist, dann ist es wieder finster geworden in euch, finster wird es wieder um euch, dann legt sich der Schatten des göttlichen Tadels und Misfallens über euch hin, und alle die in der Mitte des Textes gestrafte Uebertretung zeigt sich dann als wiederkehrende Macht des Heidentums, des Abfalls von Gott, der Selbstsucht, die alles Gute erstickt, vor welcher Gott und Sein guter Geist zurück weicht.


 „Ihr waret weiland Finsternis, aber ihr seid nun ein Licht in dem HErrn“. Zu wem sagt das der Apostel? Wer darf sich diese Rede zueignen? Mein sehnsüchtiger Blick, mein forschendes Auge geht suchen, ob zu euch, meine Freunde, der Apostel rede, ob ihr euch aneignen dürft, was gelesen ist? Kennen wir einander nicht? Wißen wir nicht, wie es bei und mit uns steht? Wenn ihr als Kinder des Lichtes wandelt, dann seid ihr ein Licht in dem HErrn, dann seid ihr keine Finsternis mehr. Wie ist es mit eurem Wandel? Die Alten nannten die Taufe eine Erleuchtung des Menschen, und sie hatten ja Recht, weil in der Taufe der Geist des Lichtes über die Täuflinge ausgegoßen wird. Nun seid ihr ja allerdings getauft, und seid eben deshalb erleuchtet; wie aber steht es gegenwärtig mit euch? Soll man etwa den Spruch des heiligen Paulus umkehren? Muß man etwa sagen: Ihr waret ehedem ein Licht in dem HErrn, nun aber seid ihr Finsternis? In einem der nächstfolgenden Verse unsres Kapitels sagt der Apostel: „Habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie aber vielmehr“. Es gibt allerlei Werke der Finsternis; von welcher Art aber auch die seien, deren sich der Mensch schuldig macht, sie sind alle unfruchtbar, nutzlos und heillos, und haben mit einander allzumal das gemein, daß der Mensch, der sie verübt, immer zu einem Baume der Finsternis, ja

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/203&oldid=- (Version vom 1.8.2018)