Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/204

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

selbst zu einer Finsternis wird. Wie leicht habt ihr da die Prüfung, wie bald und schnell kann man Antwort geben! Wie schnell fühlt ein Gewißen unter dem Zufluß des göttlichen Lichtes das heraus, ob es in einem Kinde des Lichtes, oder in einem Kinde der Finsternis schlägt. Ich fürchte, meine Lieben, daß bei angestellter Prüfung weitaus die meisten bekennen müßen, sie seien kein Licht mehr in dem HErrn, das sei längst wieder vorbei, sie seien Kinder der Finsternis. Ich denke, es wird kaum ein anderes Gefühl und ein anderes Urtheil sich mit der Wahrheit vertragen, als das der Buße, der Reue, des Selbstgerichtes und der eigenen Anklage vor Gottes Angesicht. Man kann auch nicht sagen, es habe überhaupt niemand, der in der Wahrheit stehe, ein anderes Gefühl und Urtheil über sich selbst. Da man ja ein Kind des Lichtes sein kann, so muß man sich auch ohne Hochmuth als ein Kind des Lichtes fühlen können, und da Gott etwas Gutes in uns schaffen kann, so haben wir auch gar kein Recht, das Gute, das in uns von Ihm geschaffen ist, zu verleugnen. Nicht Verkennung, sondern Erkenntnis des Guten ziemt dem Menschen, mit demüthigem Danke soll er die Gnade Gottes dahinnehmen und in sich tragen; er soll es und kann es, und es ist auch je und je oft genug geschehen zum Preise Gottes und ohne Gefahr der Seelen, daß der Mensch das Gute, das in ihm war, erkannte und bekannte, und zum Preise des ewigen Erlösers anwendete. Wenn das nicht wäre, so würde z. B. der heilige Johannes nicht schreiben dürfen: „Kindlein, wir wißen, daß wir vom Tode zum Leben hindurchgedrungen sind“. Da es aber also ist, so ist die Frage desto ernster, die ich an euch gethan habe, die nemlich, ob ihr aufgehört habt, Kinder des Lichtes zu sein, ob ihr Kinder der Finsternis seid. Nothwendig ist es nicht, das Letztere zu sein, wir können allzumal Kinder des Lichtes sein und in der Kraft Gottes wieder werden, wenn wir aufgehört haben, es zu sein. Also desto schlimmer, wenn man immer bleibt, was man geworden ist, wenn wir uns nicht erneuen laßen, sondern den Brunnen unsrer Taufe, der neben und in uns sprudelt bis an unser Ende, immer wieder mit allem Fleiße verstopfen, und immer wieder uns in die alte Finsternis der Seele niederlegen. – Diese Schlußreden des heutigen Vortrags sollen nach meiner Absicht eine Gewißensregung für euch sein, eine Anfachung des vorhandenen Funkens, ein Rütteln an den Schläfern, die neben dem Abgrund eingeschlafen sind, und leicht hinabstürzen können. Insonderheit euch meine ich, die der eigentliche Kern und die Mitte des Textes trifft, die Hurer, die Unreinen, die Habsüchtigen, die schandbare Worte, Narrentheidinge und ungeziemenden Scherz im Munde zu führen gewohnt sind. Dies zahlreiche Volk, diese große Einwohnerschaft möchte ich nicht leer aus diesem Hause gehen laßen. Ich wünsche, daß sie merken, sie seien gemeint, sie seien gestraft, gewarnt, und auf sie paße der Text. Wenn ich das erreichte, wäre meine arme Rede nicht umsonst aus meinem Munde gegangen.

 Der HErr aber gebe mir mehr als das: Er laße uns nicht bloß merken, wo es uns fehlt, Er heile auch und bringe uns wieder zu aller Gnade unsrer Taufe, mache uns aufs Neue zu Kindern des Lichtes und des ewigen Tages. Amen. –




Am Sonntage Lätare.

Galat. 4, 21–31.
21. Saget mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt, habt ihr das Gesetz nicht gehöret? 22. Denn es stehet geschrieben, daß Abraham zween Söhne hatte, einen von der Magd, den andern von der Freien. 23. Aber der von der Magd war, ist nach dem Fleisch geboren; der aber von der Freien ist durch die Verheißung geboren. 24. Die Worte bedeuten etwas. Denn das sind die zwei Testamente, eins von dem Berge Sinai,
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/204&oldid=- (Version vom 1.8.2018)