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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

werden, und daß der Ausstreckung des menschlichen Begehrens nach dem göttlichen Mittel auch göttliche Handlungen der Darreichung entsprechen werden, und es frage sich daher nur, welche dieselben seien. Bei der Beantwortung dieser Frage tritt dem einfältigen Betrachter wohl ohne Zweifel zuerst das heilige Abendmahl in’s Gedächtnis. Die alttestamentlichen Opfermahle hatten allerdings auch einen Kelch, aber keinen, der mit dem Blute des vorbildlichen Opfers gefüllt gewesen wäre. Das ist die Auszeichnung des neutestamentlichen Bundesmahles, daß hier nicht etwa eine bloße Besprengung mit dem Blute Christi statt findet, sondern mehr, daß wir das Blut unsers Versöhnopfers mit unsern Lippen faßen und trinken. Gewis können wir auch unter allen Mitteln der Gnade keines finden, das so ganz eigentlich zur Mittheilung und Anwendung des Blutes JEsu auf uns verordnet wäre, als das heilige Mahl, deßen reinigende und entsündigende Kraft Millionen von Christen, die bisher gelebt haben, empfindlich geworden ist. Zwar weiß ich nicht, ob ich es einen unter uns geläufigen Gedanken nennen kann, daß das Blut JEsu Christi des Sohnes Gottes im Abendmahle uns rein macht von aller Sünde und unser Gewißen reinigt von den todten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott. Aber ich hoffe, meine lieben Brüder, daß der Gedanke werth und berechtigt ist, euch recht geläufig zu werden, und daß er tief in den Worten der Einsetzung gründet, da Christus spricht: „das ist Mein Blut, das für euch und für viele vergoßen wird zur Vergebung der Sünden.“ Wozu es vergoßen ist, dazu wird es auch gereicht, genommen, getrunken. Was der HErr mit Seiner Aufopferung erworben hat, das theilt Er uns zu in Seinem heiligen Mahle, und macht uns dieses zu einer Gelegenheit und zu einer Handlung der seligsten Besprengung, der Reinigung, der Vergebung, der Befriedigung. Ueberlegen wir das recht, so werden wir desto fröhlicher zu der Mahlzeit JEsu gehen und in ihr das dem ewigen Hohenpriester, der in das Heiligtum eingegangen ist, angenehmste, von Ihm Selbst schon vor Seinem Leiden und Bluten auserwählte Mittel der Anwendung Seines redenden Blutes auf die Einzelnen erkennen. Doch glaube ich, daß es nicht im Sinne des Ebräerbriefes liegt, bei der Besprengung mit dem Blute JEsu Christi nur an das heilige Abendmahl zu denken, sondern daß auch das heilige Sakrament der Taufe ein Mittel der Besprengung genannt werden kann. Martin Luther sagt in seinem berühmten Taufliede: „Das Aug’ allein das Waßer sieht, wie Menschen Waßer gießen; der Glaub im Geist die Kraft versteht des Blutes JEsu Christi; und ist vor ihm ein rothe Fluth, von Christi Blut gefärbet, die allen Schaden heilen thut, von Adam her geerbet, auch von uns selbst begangen.“ Was aber Martin Luther sagt und singt, das stimmt ganz mit unserm Briefe, in welchem es Kapitel 10, 22 vom Eingang der Gläubigen ins Heilige des Neuen Testamentes heißt: „So laßet uns nun hinzu gehen mit wahrhaftigem Herzen in völligem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewißen, und gewaschen am Leibe mit reinem Waßer.“ In diesem Verse ist die Besprengung der Herzen, die Lösung vom bösen Gewißen und die Waschung mit reinem Waßer so zusammengestellt, daß man weder vom ersten zum dritten, noch vom dritten zum ersten einen Fortschritt nach der Zeit erkennen kann, sondern alle drei Handlungen am Ende zusammenfallen laßen muß in Eine Zeit, ja in Eine Handlung, nemlich in die der heiligen Taufe. Damit hat man ein Zeugnis der heiligen Schrift vor Augen, daß auch in der Taufe eine Besprengung mit dem Blute JEsu Christi geschieht. Da sehen wir denn im ersten Sakramente, welches uns angedient wird, in der heiligen Taufe, den Anfang der Mittheilung des Blutes JEsu, eine Waschung und Reinigung; im heiligen Abendmahle aber die Fortsetzung, eine immer neue Reinigung und Waschung, und zugleich eine Ernährung und Speisung zum ewigen Leben, welche über alle unsere Begriffe geht. Es ist gar nicht nöthig, uns die Frage zu beantworten: ob uns das Blut JEsu Christi noch auf einem andern Wege als dem der heiligen Sakramente zu Theil wird, da ja die beiden Sakramente einen Brunnen des Reichtums erschließen, der uns allein schon befriedigen kann und die betende Ueberlegung der uns gegebenen Offenbarung, daß wir in den Sakramenten den Dienst und das Sühnungsmittel des ewigen Hohenpriesters genießen, unsre Seelen immer tiefer hinein führen kann in den Frieden eines mit Gott versöhnten Gewißens. Wahrlich, es thut sich uns hier ein Himmel auf Erden auf, die Erde wird zum Vorhof des ewigen Heiligtums; was jenseits geschieht, wird diesseits empfunden,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/218&oldid=- (Version vom 1.8.2018)