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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

gewirkten Beispiel den Satz gelernt, den er ausspricht, und sei mit demselben nichts weiter, als ein Ausleger deßen, was Gott bei Cornelio gethan. Denn Cornelius fürchtet Gott, ist ein Proselyte der edelsten Art, er übt sich in Werken der Gerechtigkeit, in Gebet und Almosen; wie ihn der Engel versichert, ist sein Gebet und Almosen zu Gott gekommen, und weil er so ganz ist, wie Sich Gott diejenigen wünscht, die aus allen Völkern zu Seiner Kirche kommen sollen, so beweist der HErr durch Offenbarung und apostolisches Wort, daß er Ihm angenehm sei. Engel und Apostel müßen sich bewegen, müßen dienen, um den angenehmen Proselyten in Sein Reich zu führen.

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 Sehen wir in die Apostelgeschichte, so finden wir, daß am ersten Tage der Pfingsten dreitausend Menschen getauft und in die Kirche Gottes aufgenommen werden; – so sehen wir an vielen andern ähnlichen Beispielen, daß man in der ersten Zeit mit der Aufnahme in die Kirche nicht langsam verfuhr. Von unserem Standpunkte aus könnte man sagen, man habe sehr schnell verfahren. Nun sind zwar die meisten Beispiele, auf die wir uns hier beziehen, nicht von Heidenchristen, sondern von Judenchristen hergenommen, von Kindern des Bundes, deren Uebergang vom alten zum neuen Testament durch viele Gottesthaten vorbereitet war, und daher auch sehr leicht und schnell hätte geschehen können und sollen. Dennoch aber ist der Schritt aus dem alten ins neue Testament ein Verlaßen des alten und ein Ergreifen des neuen, ein bedeutsamer Wechsel und eine mächtige Veränderung. Auch wißen wir ja, wie wenig vorbereitet durch alle die großen Thaten Gottes die meisten Juden für den Eingang ins Reich Gottes in der Wirklichkeit gewesen sind, wie wenig geistliches und heiliges Leben, wie wenig Gottesfurcht und Rechtthun unter ihnen herrschte. Wenn auch der heilige Geist von den Dreitausenden, die am ersten Pfingsttage zur Kirche hinzugethan wurden, bezeugt, daß sie fromme und gottesfürchtige Menschen gewesen sind, und diese erste, von Gott nach heiliger Vorsehung zusammengeführte Schaar, es ist freilich erstaunlich zu sagen und zu hören, die Merkmale zur Aufnahme gehabt haben, welche Cornelius hatte, so konnten doch die Apostel auch bei diesen nicht wißen, oder doch nicht auf einmal und an einem Tage erfahren, daß es der Fall war, und in anderen Fällen, in welchen kein ausdrückliches Zeugnis des heiligen Geistes vorliegt, ist es ja ohnehin nicht anzunehmen. Wenn nun der heilige Petrus, dies reichgesegnete Werkzeug Gottes zur Bekehrung für Tausende, selbst sagt, daß Gotte für den Eintritt ins Christentum angenehm Diejenigen seien, die Ihn fürchten und recht thun, so kann man doch nicht annehmen, daß diese seine Forderung bloß an die Heiden gerichtet gewesen sei, und daß er von den Juden weniger gefordert habe, und es fragt sich daher, wie die eilende Aufnahme der ersten Christen mit dem von ihm in Cäsarea ausgesprochenen Grundsatz zusammenstimme. Ein wenig Nachdenken kann jedoch den Zusammenhang zeigen. Gott dem HErrn angenehm sind in der That nur diejenigen Proselyten, die Früchte der Buße bringen, Gott fürchten und des Rechtthuns sich befleißen, denen ein Johannes nicht zurufen muß: wer hat denn euch geweiset, daß ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet. Es muß das auch als Grundsatz bekannt und öffentlich gelehrt werden. Wenn aber dieser Grundsatz in Menschenhänden eine Regel und Richtschnur für die Aufnahme ins Christentum werden soll, dann muß, wie bei ähnlichen, göttlich strengen Sätzen, ein demüthiger und milder Sinn die Anwendung davon machen. Unser Urtheil ist schwach: wer von uns kann giltig beurtheilen, ob jemand Gott fürchte und recht thue; kaum können wir beurtheilen, obs jemand nicht thue, und doch, wie leicht ist das in Vergleichung mit dem Urtheil, ob ers thue. Nehmen wir nun an, daß die Seelen der Apostel sehr erleuchtet gewesen sind, so werden sie doch im Lichte Gottes weit mehr ihre eigene Schwachheit und Sündhaftigkeit erkannt, als in die Herzen Anderer sichere Blicke gethan haben, und gerade die höhere Erleuchtung wird ihre Seele geneigt gemacht haben, mild und gütig zu urtheilen; sie werden bei der Unmöglichkeit eines völlig richtigen Blickes in fremde Seelen und dem ihnen dennoch gegebenen Befehl, zu lehren und zu taufen, lieber in Mildigkeit als in Strenge haben irren wollen. Gottes heilige Regel wird wohl als Regel für den zu Christo nahenden Proselyten so wie als Thema heiliger Lehre und Ermahnung, keineswegs aber als ein äußerliches Gesetz für die Aufnahme der Proselyten gegolten haben; dem Missionar zur Regel bei seinem Handeln wird weniger das Wort Petri in Cäsarea als sein und aller

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/257&oldid=- (Version vom 1.8.2018)