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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

mich richtet. 5. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HErr komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rath der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.


 Das Evangelium des heutigen Tages erzählt die Botschaft Johannis aus dem Kerker an unsern HErrn JEsus und die Antwort des HErrn. Dieser Inhalt scheint, so allgemein angegeben, nicht adventmäßig; aber recht betrachtet ist er des Adventgedankens voll. „Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?“ fragt Johannes. Ganz mit der Zukunft JEsu beschäftigte sich also Johannes in seinem Kerker; nur war er in der Nacht desselben am Advente Christi zweifelhaft geworden, sucht also Rettung aus dem Zweifel an der rechten Thüre, an der Thüre JEsu. Ebenso adventmäßig als die Frage ist die Antwort. Alle Werke, auf welche JEsus Christus den Täufer verweist, sind solche, auf welche die alttestamentlichen Propheten in ihren Weißagungen vom Advente Christi gleichfalls verweisen. Und vollends die Rede Jesu Christi von Johannes ist geradezu aus der stärksten Stelle genommen, welche die heilige Schrift vom Advent Christi nur enthalten könnte, nämlich aus dem dritten Kapitel Maleachi, des letzten Propheten. Es kann nichts adventmäßiger sein, als die Belehrung JEsu, daß Johannes Elias sei, und der Engel, der vor Ihm hergehen und Ihm den Weg bereiten soll nach Maleachis Worten. Wer am Advente JEsu zweifeln sollte, der kann seinen Zweifeln gewis nicht beßer rathen, als durch die Betrachtung des heutigen Evangeliums. Gerade wie mit dem Evangelium ist es aber auch mit der Epistel. Sie handelt von dem Hirten und Lehrer des neuen Testamentes, zeigt zuerst, was er sei, und dann, wie er sein solle, zuletzt aber, und zwar in den drei letzten Versen wird der ganze Advent des HErrn, seine Wiederkunft hingestellt als ein Advent für die Prediger und Hirten des neuen Testamentes voll Gericht und Gerechtigkeit. Ein ähnlicher Gedankengang, wie der des Evangeliums, in welchem auch ein großer Lehrer, der Täufer Johannes dargestellt, und zuerst gezeigt wird, was er sei – der Engel JEsu, – dann wie er sei, ein Mann von unüberwindlicher Treue, während das ganze Evangelium den Vorläufer in dem Gerichte seines Adventkönigs zeigt und stark an den Schluß der Epistel erinnert, in welchem es heißt: „Alsdann wird einem jeglichen von Gott her sein Lob widerfahren.“ Das Evangelium zeigt also den Täufer im Gericht, während die Epistel alle Hirten und Lehrer vor Gericht ruft. So erweist sich denn auch diese Textwahl als wolgelungen und es reiht sich namentlich die Epistel würdig an die vorangegangenen Episteln an, und bezieht auf einen Stand der Kirche, was in der Adventszeit sonst der ganzen Kirche gesagt wird. Laßt uns nun, meine lieben Brüder, genauer auf den Inhalt eingehen und sehen

was ein Hirte und Lehrer des Evangeliums sei, was der HErr von ihm fordere, und wie er gerichtet und beurtheilt werden soll.


I.

 Auf unsere erste Frage, was ein Hirte und Lehrer sei, gibt uns der erste Vers unseres Textes klare Antwort. Denn St. Paulus sagt: „Dafür halte uns Jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ Ein Diener Christi ist nach dem gebrauchten Ausdruck nichts andres, als einer, der Christum gegenwärtig weiß und bereit ist, ihm aufzuwarten, ihn bei seinen Geschäften zu unterstützen und zu helfen, so viel er es haben will und die Kraft es zuläßt. Es ist also mit dem Ausdruck „Diener Christi“ nicht bloß ein Mensch angedeutet, welcher dasjenige, was er aus eigenem Verstand und guter Meinung thut, zu Christi Lob und Preis will angenommen und angesehen haben, dabei aber doch nicht gewis weder selber weiß noch andern versichern kann, ob er Christi Sinn und Willen treffe. Ein rechter Diener will allerdings mit all seinem Thun seinen Herrn ehren; seine Freudigkeit aber und sein gutes Gewißen hängt an der Ueberzeugung, daß er nichts thue, als seines Herrn Befehl. Seine liebste Tugend heißt Gehorsam; nichts macht ihn unruhiger und unglücklicher, als wenn er einmal in den Fall kommt, im Dienste seines Herrn nach eigener Meinung zu handeln. – Daraus geht

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 020. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)