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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Himmel auf Erden Raum zu machen bis an ihre Enden, – Unermeßlicher, der Du in einem kleinen Leibe und in eines Weibes Schooß Raum fandest;

Heiliger, heiliger HErr Zebaoth, wunderbarer Menschensohn;
Lobgesang der Heerschaaren; Lobgesang Deiner Kirche;
Höchste Ehre Deines Vaters;
Tiefster Friede der Welt;
Wohlgefallen Gottes und aller – erlösten Sünder;
Heiland der Welt, – heiliger, heiliger HErr Zebaoth;
Bei Dir, bei Deiner Krippe verstummt mein lallender Mund!
Selig, die von Dir reden, selig, die stille sind in Dir!
Halleluja!

Am zweiten Weihnachtstage.
Luc. 2, 15–20.

 ZU der Glorie der Weihnachten, der Predigt und dem Liede der Engel von gestern verhält sich dies Evangelium wie ein bescheidener Nachklang und eine stille Antwort der Erde. Die Hirten brechen auf von den Schafen nach Bethlehem; es ist ihnen wichtiger, die Geschichte zu sehen, die ihnen gepredigt ist, als der Heerde zu hüten. Sie finden im Stalle zu Bethlehem alles, was ihnen vom Himmel kund gethan ist und wie sie es vernommen haben. Sie erzählen mit beredtem Munde von der himmlischen Erscheinung; ihr Wort wird von allen mit Verwunderung, von der Mutter Gottes mit tiefem Sinnen und innerer Bewegung aufgenommen. Die Hirten kehren unter Lob und Preis Gottes, der sie heimgesucht hat, zurück. Wie klein ist das alles gegen den Inhalt des gestrigen Evangeliums. Allein, meine lieben Brüder, es ist eben doch nur klein gegenüber dem größeren, und dem Himmel gegenüber und seinen Erscheinungen wird alles irdische Thun nie anders aussehen. Vergleicht man aber den Inhalt des heutigen Evangeliums nicht mit dem des gestrigen, sondern mit andern menschlichen Dingen, schätzt man ihn im Vergleich mit gleichartigen, so fällt das Urtheil anders aus. Wenn die Hirten die Heerde verlaßen, um die ihnen angekündigte Geschichte zu schauen, so verlaßen sie das Irdische um des Himmlischen willen, ein höherer Zug ist in ihr Leben gekommen, geschehen ist bei ihnen, was vielleicht bei dir nicht, das gemeine ist dem ungemeinen gewichen; es ist genug geschehen für alle Menschen, wenn es nur erst einmal dahin gekommen ist. Im Stalle finden sie die heilige Familie, Joseph, Maria und JEsus. Diese Familie glänzt nicht wie die himmlische Erscheinung, sie ist im Stalle, alles scheint dunkel und gering, den Hirten aber erschien dennoch alles ganz anders. Der kleine Knabe in der Krippe ist ihnen mehr, als der Engel, den sie haben predigen hören, und alle lobsingenden Heerschaaren. Sie wißen, daß um Seinetwillen sich der Himmel über den Feldern von Bethlehem ausgeleert hat, und daß die Predigt und die Lobgesänge der Himmlischen nur von Ihm gehandelt haben. Daher fürchten sie sich draußen, während ihnen von der Freude verkündigt wird, die allem Volke widerfahren soll; im Stalle aber überwallt sie die Freude, von der die Engel sagten. Den Hirten ist der Stall wichtiger als die Lüfte, das Kindlein größer als die frommen Knechte, die draußen von ihrem HErrn predigten und sangen, am Ende Maria und Joseph oder doch Maria merkwürdiger und größer, als die himmlischen Heerschaaren. Sie haben im Stalle nicht die Nachfeier der Nacht, sondern sie hatten in der Nacht die Vorfeier der größeren Freude, die ihrer im Stalle wartete. Ahnungsvoller, schauriger mag es in der Nacht gewesen sein, seliger ist es am Morgen bei der Krippe. – Merkt ihr, Brüder, wie das Evangelium des heutigen Tages im Werthe steigt, macht euch selbst das Vergnügen, weiter zu vergleichen und hinter die Wahrheit zu kommen. Vergleichet die Verwunderung der Bethlehemiten mit der Bewunderung der Engel, die Bewegung im Herzen der Gottesmutter mit dem Lobgesang der Heerschaar, die Lobpreisung der Hirten auf dem Heimweg mit ihrem stummen Schweigen in

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/330&oldid=- (Version vom 1.8.2018)