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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ist der große Unterschied: in Seiner Burg war kein Verräther, Sein angefochtenes Herz antwortete der Versuchung mit keinem Tone, aber wir? In uns antwortet auf jede Versuchung, die außer uns lautbar wird, ein verwandter Ton: das Reich Gottes, das festbeschirmte, ist nicht in uns, sondern wir sind voll Verrathes und böser Lust. Ja, wenn in uns keine Lust zum Bösen wäre, dann blühte unser inwendiges Leben in der verderbten Welt wie die Rosen unter ihren Dornen. Du hast keine Lust zum Tanz, so pfeift man dir ohne Seelenschaden; du hast deine Lust an dem HErrn, so singt dir die buhlerische Welt erfolglos, sündlos von ihren Freuden, d. i. ihren Sünden. Aber wie ganz anders, wenn du Lust hast! – Daß du deines Herzens böse, lüsterne Beschaffenheit in ihrer Tiefe schauen dürftest am Bußtage! Das wäre recht Buße gethan, wenn du sie beweinen könntest!

 Einer ruft hier: Die erkenne, die beweine ich; aber wie von ihr frei werden, wie inwendig anders werden, wie rein werden, daß der Unrath dieser Welt nicht mehr in mir fahen könne? – Leichte Antwort. Christus antwortet dem Satan mit eitel Sprüchen des göttlichen Wortes. Du bist nicht wie Christus, aber nimm Sein Wort in deine Seele auf, so wird Er dich Ihm ähnlich machen, und du wirst, wie Er, den von außen nahenden Versucher schlagen. Wie der Menschensohn im Fleische zu uns kam, so kommt Sein Geist, der heilige und heiligende, im Worte: wer das Wort aufnimmt, nimmt auch den Geist auf und wird es an sich erfahren, daß es nicht ein Schall, sondern ein lebendig, schäftig, mächtig Wesen sei. Laß durch das Wort des Gesetzes deinen alten Menschen tödten, durchs Evangelium ein neues Licht und Leben in dich kommen, – laß dem Worte Raum und Macht und es wird dir Raum und Macht geben über die Pforten der Hölle, daß sie dich nicht überwältigen können. Ists nicht in dir, so hilfts nichts außer dir. Aus dem Herzen hervor brichts wie hauendes Schwert des Cherubs. – – Sieh da, eine Sünde, eine große, eine schädliche Sünde wird dir offenbart, am Bußtag: Verachtung des Worts, Mistrauen in seine Macht, Verschloßenheit gegen dasselbe, wenn es eindringen will. Die Sünde bereue, für sie suche Vergebung, sie vermeide!


Am Sonntage Reminiscere.
Matth 15, 21–28.

 EIne Heidin liegt zu JEsu Füßen. Ihr Licht von dem Sohne Davids, von des Satans Werken unter den Heiden, von der Heiden Erwählung, von ihrer Gnadenhülfe, von des Glaubens Anrecht an den HErrn – war groß. Ihr Glaube selber war groß, wie ihr Licht. Ihr Gebet war brünstig, – sie rief in ihrer Sprache ihr: „Ich laße Dich nicht, Du segnest mich denn.“ Heiden sind pur auf den Glauben hingewiesen, darum gibt es unter den Heiden Helden im Glauben – eine Glaubensheldin aus den Heiden sehen wir zu JEsu Füßen – siegen.

 Eine Mutter liegt zu JEsu Füßen. Welche Mutterliebe siehst du hier! Sie erbarmt sich ihres Kindes, – sie macht des Kindes Leiden zu eigenen Leiden, bittet, bettelt um Erbarmen nicht für die Tochter, für sich, für sich („Erbarm Dich meiner!“) – sie weicht nicht, da der einzige Helfer Sich von ihr wendet, – sie weiß den Beruf Christi in Seiner Erniedrigung, da Er nur zu Juden gesandt war, zu durchbrechen und den der Erhöhung herauszufordern, der auch für die Heiden segensreich wirkt, – sie kann, wie eine Biene aus mancherlei Blumen, aus allen, auch aus harten Worten JEsu Beweis und Glauben an Sein Erbarmen sammeln, – sie gewinnt mit ihrem sehnlichen Rufen der Jünger Fürbitte, – sie erlangt endlich eine reife Frucht der Hülfe und die Verwunderung Deßen, der sich gerne besiegen läßt von standhaften Betern. Siehe, welch ein Sieg der Mutterliebe!

 Welch ein Bild, das Bild der betenden, siegenden, glücklichen Mutter: sollte einem nicht das Herz lachen, wenn man es anschaut? – Harre, ein anderes Bild führe ich dir vor die Augen. Ein Weib, eine Mutter vieler Kinder, eine Heidin, heidnische Gräuel voll, ein Weib voll Krankheit und Gebrechen, eine Mutter verlorener Kinder, eine Mutter, gräßlichem

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/346&oldid=- (Version vom 1.8.2018)