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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

HErr aber, welcher gerühmt ist von allen Engeln, allen Creaturen, der gebe auch euch Seinen heiligen Geist, den neuen, gewissen Geist, daß ihr wißet, wem ihr angehöret, und Dem, der auferstanden ist, mit aufrichtigem Herzen lebet!

So feiern wir das hohe Fest
Mit Herzensfreud und Wonne,
Das uns der HErr scheinen läßt.
Er selber ist die Sonne,
 Der durch Seiner Gnaden Glanz
Erleucht unsre Herzen ganz,
Der Sünden Nacht ist vergangen.
 Halleluja!

Wir eßen und leben wohl
In rechten Osterfladen,
Der alte Sauerteig nicht soll
Sein bei dem Wort der Gnaden.
 Christus will die Koste sein
Und speisen die Seel allein,
Der Glaub will keins andern leben.
 Halleluja!


II.
Marc. 16, 1–8.

 ES ist mir etwas Liebliches und Rührendes, einen wohlbereiteten Altar bei der Feier des heiligen Abendmahles zu sehen. Ein solcher Altar hat etwas Oesterliches, und so wenig er manchen an ein Grab erinnern wird, so gewis soll er es dennoch thun. Denn es liegen auf ihm die weißen, leinenen Tücher (andere als leinene soll ja kein Altar zur Ueberdecke haben), vor allen das oberste, welches nicht größer ist als die Tafel des Altares selbst, das Corporale, zum Andenken an die Grabtücher JEsu, in welche Sein Leichnam eingewickelt wurde, aus denen Er wieder hervorgenommen wurde. – Du kannst mir, lieber Leser, sagen, ob ich dir denn am großen Ostertage nichts anderes zu sagen wiße, als diese Sätze von der symbolischen Deutung der leinenen Altartücher. Allein ich predige dir nicht, sondern biete dir nur eine kurze Lection, und für eine solche eignet sich die Erinnerung an die Altartücher, du wolltest aber eigentlich sagen „die Grabtücher JEsu“, ganz wohl. Entweder ist in der Geschichte JEsu nichts klein, oder es hat auch das Kleine verborgenen großen Segen. Auch darfst du, kleiner Mensch, geringe Creatur, das Kleine nicht von dir stoßen, zumal wenn du merkst, daß dein HErr und Gott es achtet. Engel sind im Grabe JEsu; als der Auferstehungsmorgen da war, verschmähen die, welche allezeit Gottes Angesicht sehen, das kleine Grab nicht. Engel zeigen im Grabe, in der Grabeskammer den Ort, wo der HErr, der doch nicht mehr da ist, gelegen hat. Den seligen Geistern ist ein Oertlein im stillen Ort bemerklich und behältlich, – sie können es vertragen, neben das Gedächtnis der Auferstehung das Gedächtnis der Grabesruhe und des Ruheplatzes JEsu zu setzen. Und liesest du noch die Erzählung der Ostergeschichte in Johannes 20, 5–8, so wirst du dich überzeugen, daß von den Grabtüchern, ja von dem Schweißtuch JEsu die Rede ist, in welches Sein Haupt gehüllt war, – daß also der heilige Geist und die heiligen Schriftsteller ein Auge für alles, auch das scheinbar Kleine, auch für Grabtücher und ein Schweißtuch hatten selbst am Ostertage. Laß mir also die Freude, dir dieß Mal die ganz gelegentliche Erinnerung ans leere Grab und die leeren Grabtücher zu bieten. Beide sind mir und dir lieb, weil der HErr einmal darin gelegen ist und dann nicht mehr darin lag. Was in Beziehung zu Seiner allerheiligsten Person stand, das ist werth und lieb den Seinen, auch wenn die Beziehung niemals wiederkehrte, sondern aufhörte.

 Gestattest du mir aber die Erinnerung an das leere Grab und an die leeren Grabtücher des HErrn, dann gestatte mir auch, die Erinnerung an die Altartücher wieder aufzunehmen. Sie sind Symbole der Grabtücher, in denen JEsu Leichnam lag, aus welchen der Leib Seiner Verklärung hervorgieng. Aber sie sind nicht bloß Symbole, sondern sie sind mehr. Wie aus jenen ersten Tüchern Sein Leib herausgenommen wurde, um dann auf den Thron des ewigen Vaters erhoben zu werden, so wird dir von jenen Tüchern der Leib des verklärten JEsus, dein Osterlamm, beim Sakramente genommen und gegeben.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/357&oldid=- (Version vom 1.8.2018)