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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

auf welche die ganze griechische Sittenverderbnis übergegangen war, konnten gewis als Sclaven der Sünde insgemein dargestellt werden. Die Sünde selbst konnte als Unreinigkeit und Ungesetzmäßigkeit angesehen und es konnte gesagt werden, wie St. Paulus sagt: „Ihr ergebet eure Glieder zu Sclaven der Unreinigkeit und Ungesetzmäßigkeit“, oder, was gewis damit zusammenfällt, „der Gesetzlosigkeit und eines widergesetzlichen Wesens“. Unreinigkeit ist der Gegensatz jener heiligen Zucht und Keuschheit des äußern und innern Lebens, von deren Schönheit und Majestät auch der Heide eine Ahnung und eine Art von Zug dazu haben muß. Die Sünden wider das sechste Gebot des Gottes Israel, wie sie durch Gedanken, Worte und Werke begangen werden können, sind ganz insonderheit hieher zu ziehen, wiewohl nicht sie allein, wiewohl sie nur Chor- und Anführer aller andern Gewißenlosigkeit und alles des übermüthigen fleischlichen Wesens waren, das man eben am Heiden kennt. Was war jenen Heiden die Ehe? Was Frauenehre und Frauenliebe? Ja, was Unschuld des Jünglings? St. Paulus hat es im Eingang des Römerbriefes gesagt, welche heillose Sünden der Unreinigkeit herrschend geworden waren und schier allgemein alles Zeugnis des Gewißens ausgelöscht und ertödtet hatten. Wie der Ochs zur Fleischbank, so gieng alle Welt den unreinen Weg des Fleisches: man wußte nicht oder selten mehr, was Reinigkeit war, weil alles Fleisch seinen Weg verderbt hatte. Dazu war kein anerkanntes göttliches Gesetz in der Welt. Es gab menschliche Gesetze, der Römer rühmte sich ihrer; aber da kein unverbrüchliches göttliches Recht und Gesetz wie eine Sonne die menschlichen Gesetze beleuchtete, achtete man ihrer nicht; alles war feil; zu allem gabs Willen und Weg, Mittel und Möglichkeit. Nichts Festes, Bleibendes, Anerkanntes war mehr vorhanden, als das Gebot der Selbstsucht und der allen eingeborne Trieb, nach dem zu jagen, was man als begehrens- und wünschenswerth erkannte. Wer will, lese die Bücher derer, die hievon geschrieben haben, und lerne schaudern. Auch dem Unheiligen unserer Tage kann noch eine Einbildung eigener Gerechtigkeit und eine Achtung vor der gegenwärtigen elenden, abfälligen Zeit aufsteigen, wenn er es ausführlich und im Einzelnen dargelegt liest, in welchem Maaße die Heiden Sclaven, willige nicht bloß, sondern willenlose Sclaven der Sünde waren und ihre Glieder der Ungerechtigkeit zur Ungerechtigkeit hingaben.

 Das war das Sonst der Römer, welches vorüber und an deßen Stelle nunmehr das beßere Jetzt getreten war. Die Unreinigkeit, die Ungerechtigkeit war erkannt, Buße und Reue hatte sie ergriffen, an der Hand des einzigen Erlösers hatten sie das Gebiet der Herrin Sünde verlaßen und waren nun, angehaucht vom Geiste ihres Christus, erfüllt von Seiner Liebe, eingetreten ins Reich der Gerechtigkeit. Jetzt wußten, wollten und konnten sie, was sie zuvor weder gewußt, noch gewollt, noch gekonnt hatten, nemlich das Gute. Keine Seile und Ketten zogen sie mehr in den Werkstätten der Sünde vorwärts, sondern es war ihnen Lust und Reizung zu allem, was gut, was heilig war, gegeben, und ein sanfter Trieb brannte in ihnen, wie eine reine lichte Flamme, und erwärmte ihre vormals erstorbenen, todten, kalten Herzen zum Dienst der frommen Herrin, von der man sagt: „wer dir dient, der regiert,“ deren Dienst die Freiheit und deren Herrschaft Lust und Seligkeit ist. Und wie man eine Flamme in ihrem Beginn mit dem Hauche des Mundes höher entflammen, mächtiger ausbreiten kann, so trat nun St. Paul daher und hauchte und flammte an. „Gleichwie ihr eure Glieder dahingegeben hattet der Unreinigkeit und der Ungerechtigkeit zum Sclavendienste, von einer Ungerechtigkeit zu der andern, „„so gebt eure Glieder nunmehr zum Eigentum und zum Dienste hin der Gerechtigkeit zur Heiligung.““ Das ist eine anflammende Ansprache, – und welch ein herrlicher Ausdruck ist das: „der Gerechtigkeit zur Heiligung!“ Gebe ich meine Glieder Leibes und der Seele der Gerechtigkeit, daß sie mich beherrscht, – was geschieht? Ich werde heilig. Uebe ich mich in allem treulich, was mir geboten ist, so wird in mir durch Uebung das Gute stark, mein Dienst der Gerechtigkeit wird heilig. Wer im innern Leben erfahren ist, der weiß das.

 Da haben wir Sonst und Jetzt der Römer. Der Apostel faßt es im 20. Vers einfach in die Worte zusammen: „Als ihr Sclaven waret der Sünde, waret ihr frei für die Gerechtigkeit“ und Vers 22: „Nun ihr aber frei und los geworden seid von der Sünde, seid ihr zu Gottes Knechten geworden.“ Seliges Jetzt!

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 047. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/423&oldid=- (Version vom 1.8.2018)