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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

mit dem des natürlichen Menschen – und ist doch ganz anders, klarer, bewußter, stärker. Man kann sagen, daß der Mensch aus dem Kampfe nicht herauskomme, wenn er in das Christentum eintritt; sondern tiefer und ernster hinein. Ist auch eine Stärke und ein Licht bei ihm, von welchem der Weltmensch nichts weiß; so erwacht doch an dem Widerstande des heiligen Geistes auch das Fleisch desto mehr, und es erfährt mancher Christ alle Tage die unumstößliche Wahrheit, daß kein natürlicher Mensch so angefochten und erregt ist wie die Kinder des Geistes Gottes und JEsu. Wer das nicht einsieht, hat wenig Einsicht. Wer es aber einsieht, läßt sich auch von dem Befremden und Unwillen derer nicht abwendig machen, die ungeschickter Weise von dem Christen einen ununterbrochenen, stätigen, allezeit sieghaften Gang zur Heiligkeit und in der Heiligung verlangen.


 Steht nun der Christ in einem Kampfe zwischen Fleisch und Geist, so steht er eben damit auch in der Möglichkeit eines zweifachen Sieges: denn es kann in diesem Kampfe zwar der Geist siegen, aber auch das Fleisch. – Man könnte bei Vergleichung der Gegner in diesem Kampfe den Sieg des Fleisches für um so unnatürlicher und verwunderlicher finden, weil ja oben ausdrücklich gesagt ist, nicht bloß der eigene Geist des Menschen, sondern der Geist Gottes kämpfe gegen das Fleisch. Soll denn der allmächtige Geist, so könnte man fragen, das todte Fleisch nicht überwältigen? Allein hier geht es eben ganz so her, wie es sein muß, wenn dem Menschen ein Rest eigenen, freien Willens zugeschrieben und zugeeignet bleiben soll. Der Allmächtige hat verschiedene Creaturen, solche, über die Er ohne Schranken waltet, und solche, in Anbetracht welcher Er sich von Anfang nach der Freiheit seines schöpferischen Willens Schranken gesetzt hat. Was für ein großer Körper ist die Erde, auf der wir wohnen, dennoch beherrscht sie unwiderstehlich das Machtwort Gottes. Dagegen, wie winzig klein ist ihr gegenüber der Mensch; dennoch erleidet er keinen Zwang im sittlichen Leben. Gott hat nicht bloß Dinge, sondern auch Personen geschaffen, Wesen mit freier Selbstbestimmung, denen er von Anfang an die Macht eingeräumt hat, sich Seinem heiligen Willen anzuschließen oder auch nicht. Die größte Ehre des Schöpfers ist es, außer sich selbst freie Creaturen ins Dasein gerufen zu haben. Zu dieser Classe von Creaturen gehört auch der Mensch. Er ist gefallen, damit ist sein Wille umgarnt und unfrei geworden, daß er von selbst etwas Gutes gar nicht mehr thun kann, ja auch nicht will. Sein Verderben ist unaussprechlich groß. Dennoch aber ist sein Wille auch so nicht bedeutungslos. Er kann das Gute zwar nicht ergreifen, aber er kann es von sich stoßen, wenn es ihn ergreifen will. Gutes kann er nicht thun, aber Böses. Leben kann er nicht verdienen, aber Tod. Je nachdem sich sein böser Wille wider den Geist Gottes erregt oder nicht erregt, je nachdem sinkt oder steigt für ihn die Aussicht auf ein ewiges Leben. So verhält sich sein Wille zum göttlichen Willen und der Kraft des heiligen Geistes bei der Bekehrung, so aber auch in dem gesammten Kampfe seiner Heiligung. Das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist wider das Fleisch: der Kampf wogt hin und her: wann wird der Geist siegen? Wenn der persönliche Wille des Menschen, wenn das Gewißen im Menschen, wenn die in Christo JEsu erneute Persönlichkeit mit dem Geiste Gottes sich irgendwie verbinden und verbünden läßt, – wenn das Widerstreben gegen das Gute nicht zu stark wird, nicht boshaft, sondern der Geist des HErrn es überwältigen kann nach Seinem heiligen Grundsatz, nur die zu überwinden, welche nicht boshaft widerstreben. Es ist dabei allerdings doch ein Unterschied zwischen dem Menschen in der Bekehrung und dem bekehrten Christen und seinem täglichen Kampf. Denn der bekehrte Christ ist nicht auf ein pures Sich-thun-laßen angewiesen. Sein zuvor todter Wille ist ja zu einem neuen Leben und Dasein gerufen, in der Erziehung des Wortes und Sacramentes gewinnt er jugendliche Kraft und immer größere Macht, das Gute nicht bloß in sich thun zu laßen, sondern mitzuthun und zu ergreifen. Er wird ein Mitarbeiter des heiligen Geistes bei jedem Werke, – und wo ers nun wird, wo die heilige Treue der anvertrauten Kräfte waltet, da kommt es zu einem Siege des Geistes, den Gottes Engel feiern. Es liegt also im Zustande des bekehrten Menschen noch mehr als in dem desjenigen, der in der Bekehrung begriffen ist, alles Gelingen an der Entscheidung des Menschen. Widerstrebe, der du

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 095. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/471&oldid=- (Version vom 1.8.2018)