Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/474

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

so elend und verkommen auch das Leben sein möge, doch den heiligen Geist, Seinen Einfluß und Seine Einwirkung haben und genießen, und dennoch sehr häufig schlechten Kampf kämpfen, – arm an guten Früchten, reich an Werken des Fleisches sind. Wenn euch der Kampf geschildert ist, den auch ihr zu kämpfen habet, – kämpfet ihr ihn deshalb? Sind nicht die meisten unter euch träge, ohne Muth, ohne Lust, ohne Ausdauer? Wie viele unter euch mögen wohl vollends verzweifeln an der Heiligung und an dem Siege des Menschen über sein Fleisch? Wie viele unter euch widerstreben dem heiligen Geiste selbst und geben durch ihr Urtheil, ihre Reden, ihre Schadenfreude über jeden Fall zu erkennen, für wie unmöglich sie es halten, den guten Kampf zur Ehre Christi zu kämpfen!

 Dazu findet sich bei euch, wie allenthalben, nichts gewöhnlicher, als eine frevelige Anwendung des Blutes JEsu und der Vergebung der Sünden, welche Er mit Seinem Blute erworben hat. Ihr leistet nichts und glaubet an keine Leistung anderer; ihr haltet alle für eures Gleichen, zieht jedes Beispiel in Euern eigenen Staub und Schmutz, lüget und verleumdet, – und laßet euch träumen, daß Christus und Sein Blut für eine solche Heerde verzweifelter, der Sünde in aller Trägheit ergebener, lasterhafter Schafe Trost und Rettung sei. Ihr habt einen Glauben, der, von Heiligung losgetrennt, rein in einem fleischlichen Vertrauen auf den Erlösungstod Christi bestehend, dennoch euer Hinterhalt im Leben und euer letzter Trost für eure Sterbestunde ist. Damit aber werdet ihr euch fürchterlich betrügen, und eure Enttäuschung wird mit Heulen und Zähneklappen geschehen. Es sei ferne von mir, einem bußfertigen Sünder, welche Sünden er begangen habe, Trost, Absolution und Sacrament zu versagen. Die Buße ist ein Magnet, – wo sie sich findet, zieht sie mächtig alle Gnade Christi an. Aber den frechen, unbußfertigen, feigen Lasterknechten, deren unter euch so viele sind, gehört kein Trost, sondern ihnen wird die größte, ihnen zupassendste Wohlthat mit dem gewaltigsten, ernstesten, strafendsten Worte erzeigt.

 Wohlan denn, ihr kampfmüden, feigen, abfälligen Christen, welche den Geist nicht walten laßen, sondern dem Fleische ungestört die Zügel in die Fäuste legen wollen, – euch habe ich aus dem heutigen Texte Hammerschläge vorbehalten, Worte alles Vorwurfs voll, mächtig aus euren Faulbetten euch aufzurufen. – Höret zuerst und schämet euch, wenn es möglich ist, vor dem heiligen Apostel, der da redet: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit.“ Neun Früchte des Geistes statt einer, allesammt möglich, allesammt wirklich und vorhanden in der Kirche, – eine jede, weil ihr sie nicht tragt, mit ihrem Namen eine Schuldforderung an euch im Namen des Weingärtners, der euch nicht umsonst in eurer Taufe Saft und Kraft Seines heiligen Geistes verliehen hat. Die neun Früchte, welche die wenigsten unter euch haben, bringen, pflegen und wollen, sind beliebt bei Gott, und der Apostel sagt: „Wider solche ist das Gesetz nicht.“ Ganz recht, wahrhaftig, wider solche ist das Gesetz nicht. Aber wohl ist das Gesetz wider die Werke des Fleisches. Höret die Werke des Fleisches, d. i. die Werke der meisten unter euch selbst, Werke, an denen wenige Grauen haben, welche viele lieben, üben, andern nachsagen und die ganze Menschheit damit bedecken möchten. „Die Werke des Fleisches sind, sagt St. Paulus,

Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht;
Abgötterei, Zauberei;
Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten (oder Sectengeist und Ketzerei);
Haß, Mord;
Saufen, Freßen u. dergl.“

 Was für Namen, was für Sünden, was für Laster und Verbrechen! Und doch, wie gemein, wiederhole ich, wie beliebt unter den Gemeinden der Zeit, wie sie zu sein pflegen. Man könnte an den Namen hängen bleiben, man könnte jeden einzelnen aus des Apostels Meinung und dem griechischen Worte näher, schärfer zu bestimmen versuchen; allein, was hilft das? wer achtet es, wer bekommt deshalb mehr Abscheu? Je mehr Erklärung, desto mehr Hohn und Freude, Hohn des Eifers, Freude am verworfenen Werke. Da ist es beßer, die Namen, die nackten Namen stehen laßen und den Geist bitten, daß Er sie warnend und strafend in die Seelen lege, präge, brenne. Ja, da ist es beßer, kurz, kräftig ins Wort

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 098. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/474&oldid=- (Version vom 1.8.2018)