Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/488

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

freien Zugangs zu Gott in Christo JEsu erkalten, soll ihnen für diese Welt die Hauptsache bleiben, was die Hauptsache ist, nemlich der Bau der heiligen Kirche; so müßen sie, wie wir das schon im ersten Theile dieses Vortrags sagten, begreifen und faßen können, welches da sei die Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe des göttlichen Erbarmens in Christo; keine jüdische Schranke durfte vor ihnen aufgerichtet werden oder stehen bleiben; die alle Erkenntnis weit überragende Liebe Christi, die ganze Fülle des göttlichen Reichtums mußte ihnen enthüllt werden. Und dies, dies ist eigentlich die Bitte des heiligen Apostels zu Gott. Die hohe, innige, selige Stufe der Erkenntnis göttlicher Liebe wünscht und erfleht er ihnen. Deshalb sagt er, (und wie feierlich und schön ist seine Rede!) er beuge seine Kniee gegen dem Vater unsers HErrn JEsu Christi. Kniebeugend wendet er sich zum allerhöchsten Orte und sucht, was seine Ephesier und alle Heidenchristen bedürfen. Deshalb nennt er den Vater JEsu Den, von welchem jede Vaterschaft, jede Familie im Himmel und auf Erden, alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden, den Namen hat. Er gedenkt aller Vaterschaften, aller Familien, aller Geschlechter auf Erden, und sieht schon im Namen Vaterschaft, Familie, Geschlecht vorbildlich angedeutet die Eine höchste Vaterschaft Gottes in Christo JEsu, die Eine Familie, aus allen Familien und Geschlechtern hervorgegangen, nemlich die heilige Kirche, die aus Juden und Heiden entsteht, – er denkt an die Familien, welche bereits daheim sind in den Himmeln, eben so an die auf Erden, – und sieht sie alle vorbildlich oder in seliger Erfüllung eingereiht in den Bau der Kirche Gottes. Bei dem Namen, der allen Geschlechtern in dem Vaternamen weißagend aufgeprägt ist, ruft er den HErrn an, daß Er auch den Ephesiern gnädig sei, die göttlich über alle Völker sich erstreckende, die Himmel und die Lande bevölkernde Liebe Gottes in Christo, die Liebe, welche in dem Bau der Kirche ausgeprägt ist, zu verstehen. Und weil er große Einsicht in die weite, reiche Fülle Gottes den Ephesiern wünscht, so ruft er diesen Vater aller Väter an, nach dem Reichtum Seiner Herrlichkeit zu handeln, die Erkenntnis nach dem Maße des zu Erkennenden zuzumeßen und die Ephesier darnach mit Erhörung Seines Gebetes zu segnen. Geschieht ihm das, dann werden sie auch seiner Leiden nicht müde werden, seine Bitte an sie erfüllen, erfüllen aus eigener Nothdurft sowohl als aus eigener Liebe. An der Erhörung seines Gebetes hängt die Erfüllung seiner an die Ephesier gebrachten Bitte.

 Der heilige Apostel hat, wie gesagt, keine andere Absicht, als daß die Ephesier zu jener hohen Stufe der Erkenntnis göttlicher Liebe im Bau der Kirche möchten erhoben werden. Aber wenn er das Ziel will, muß er den Weg, – mit dem Zweck muß er die Mittel, – mit dem Wege muß er die einzelnen Wegstrecken und Stationen wollen. Er will sie auch, und um so ernster, je klarer sie ihm vorliegen. Er kennt sie. Damit die Ephesier zu jener hohen Stufe innern Lebens gelangen, müßen sie

stark werden durch Gottes Geist am inwendigen Menschen“,

müßen sie

Christum wohnen oder herbergen durch den Glauben in ihren Herzen“,

müßen sie

in Liebe gegründet und gewurzelt werden“.

 Die Lehre vom Bau der Kirche Gottes, von der Länge und Breite, Höhe und Tiefe der sich offenbarenden und ergießenden Barmherzigkeit Gottes in Christo JEsu ist nicht Milchspeise, sondern starke Speise. Wenn dies auch den Menschen dieser Zeit nicht also scheint, so ist nur ihre Blindheit daran schuld, hauptsächlich aber ihre Blindheit für die hohen, damit zusammenhängenden kirchlichen Fragen, welche jede Zeit bewegen. Nachdem unser Heil in Christo gegründet ist und durch Wort und Sacrament dargereicht werden kann, liegt alles daran, daß die Kirche auf dem Grund gegründet, durch Wort und Sacrament gesammelt, verbreitet, erbaut werde. Um aber hier mitreden und mitthaten zu können, bedarf es zu allermeist die Erkenntnis, von welcher St. Paulus in diesem Texte redet, – diese aber hängt ganz von der Stärkung und Stufe des innern Menschen, von der Einwohnung JEsu, von der Einwurzelung und Gründung in Seiner unaussprechlichen Liebe ab. Darum betet der Apostel zunächst nicht einmal um Erfaßung der Breite und Länge und Tiefe und Höhe. Er will nichts mehr als eben sie, aber sie wird im Texte nur mehr als Absicht und Folge der Gebete

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/488&oldid=- (Version vom 1.8.2018)