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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und Gebetserhörung hingestellt, welche sich von selbst ergeben müße, während um die, jene Erkenntnis vorbereitenden Stufen des innern Lebens sich all sein Gebet bewegt. Es muß der inwendige Mensch und das Leben im Geiste stark werden, dagegen aber das gewöhnliche fleischliche, irdische Leben zurücktreten, wenn man für die Kirche und ihren Bau den rechten Sinn haben soll. Soll aber der innere Mensch zu dieser Stärke gelangen, so muß das Herz Christo offen und bereit sein, Christi persönlicher Tempel zu werden, Christus muß einziehen und Besitz nehmen. Es hängt hier freilich eins mit dem andern zusammen. Es gehört schon eine hohe Stufe geistlichen Lebens dazu, um die Einwohnung Christi zu erfahren – und umgekehrt muß, damit wir recht geistlich gesinnt werden und der innere Mensch herrsche, Christus in uns herrschen. Ueber das vor und hernach kann man hier wie oft auch in andern Dingen streiten; aber da sein muß beides, ja auch das zusammenhangende dritte, die Wurzelung und Gründung in der Liebe Christi und Gottes, wenn man für das Hauptthema des Lebens Pauli und für die Würdigung seiner Leiden Sinn und Verstand haben soll.

 Hiemit ist euch das Gebet Pauli vorgelegt, ein Gebet, bei deßen einzelnen Theilen man gerne und lange verweilen und viel davon reden möchte, wenn die Zeit und eure für diesen Text schwerlich sehr rege Theilnahme es gestattete, – und wenn, es ehrlich zu gestehen, meine eigene Lebensstufe geeigneter wäre, von der Stärkung des inwendigen Menschen, von der Einwohnung JEsu, von der Gründung und Wurzelung in der Liebe zu reden. So arm und gering wir aber auch beiderseits sind, ihr und ich, das erkennen wir doch, daß St. Pauli Gebet ein herrliches ist, von dem wir wünschen müßen, daß es von St. Paulo und allen Aposteln und allen Heiligen im Himmel und auf Erden, für uns geschehen möchte. Wir in unserm elenden Gewohnheitschristentum, die wir lau und träg dahingehen, könnten in der That nichts mehr bedürfen, als das Eindringen in das Geheimnis der sich auch in unsern Zeiten immer mehr erbauenden Kirche Gottes. Theilnehmendes Erkennen der Wege Gottes auf Erden könnte uns wach erhalten und am besten uns vor der täglich neu auf uns eindringenden Versuchung der Welt behüten, welcher wir doch nicht mehr angehören und angehören sollen.


 Hier stehen wir nun, meine Brüder, am Schluße unsers Textes, beim letzten Theile, der nicht mehr Neues zu dem Vorigen mittheilt, sondern nur das Gebet, welches St. Paulus gethan hat, in Lobpreisung, man darf wohl sagen, in Lobgesang verklärt. Dem großen Beter ist auf dem Wege des Gebetes die Zuversicht gewachsen; er zweifelt an der Erhörung nicht, sondern er sieht sie kommen, größer und reicher, als er selbst es in seiner Bitte und Meinung hatte, und darum fühlt er sich gedrungen, alles eigenen Verdienstes sich zu entkleiden, und Gotte, dem HErrn, welcher Gebet erhört, die Ehre allein zu geben. Hängt alles, auch was wir thun sollen, von dem HErrn und Seiner gnädigen Erhörung unsrer Gebete, und fast möchte ich kühnlich reden, unsrer Bedürfnisse ab (denn unsre Gebete sind ja nur laut werdende Bedürfnisse); – können die Epheser die Bitte Pauli, seiner Leiden nicht müde zu werden, nicht erhören, wenn Gott ihnen nicht eine reichere Stufe des inwendigen Lebens gibt; so hängt alles an Gott und Seiner Gnade, so gebührt auch Ihm allein die Ehre. Wie ER allein in der Tiefe Seines Wesens den Gedanken Seiner mannigfaltigen Weisheit faßen konnte, – wie ER allein ihn in Christo auszuführen vermochte, ihn ausgeführt hat und noch ausführt, so kann auch nur ER Sinn und Erkenntnis für Sein heiliges Thun im Bau der Kirche geben, erhalten, stärken, groß ziehen – und eben damit unsre eigne selige Theilnahme an Gottes heiligem Gang. Die Geschichte ist nur Sein Werk und Seine hohe Gnadengabe.

 Wenn auch die meisten unter uns, meine Brüder, keine hohe Lebensstufe haben werden, ganz werden ja doch auch unter uns die nicht fehlen, deren höchste Angelegenheit auf Erden der Bau der heiligen Kirche ist. Wer sein Heil noch nicht gefunden hat, selbst noch kein Glied der Kirche geworden ist, dem liegt es freilich näher, es ist seine dringendere Angelegenheit, sein Heil zu finden, ein Glied der Kirche, ein Stein des Tempels zu werden. Wer aber sich eingefügt weiß, wer weiß, auf welchem er ewig ruht und an wen er glaubt, der liebt das Reich Gottes auf Erden und sein Tag- und Nachtgedanke wird die

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/489&oldid=- (Version vom 1.8.2018)