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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

beten und danken für andere; und laß uns also vorbereitet in unserem Texte weiter gehen.

 Wofür dankt nun aber Paulus dem HErrn, seinem Gott, im Namen der Corinther? Das sagt er im vierten Verse selbst, indem er spricht: „Ich danke meinem Gott allezeit eurethalben für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christo JEsu.“ Auch dem flüchtigen Leser unseres Textes würde sich aufdrängen, daß der Apostel im Verlaufe des Textes die Ursachen seines Dankes noch weiter und ins Einzelne ausführt; aber es ist auch leicht zu bemerken, daß die Worte, welche wir so eben angeführt haben, alle Ursachen des Dankes kürzlich zusammenfaßen, ja daß sie alle zusammengefaßt sind in dem Wort „Gnade“. Man denkt bei dem Wort Gnade und Gnadengabe oft gar nicht daran, daß damit ein Gegensatz ausgesprochen ist zu allem Verdienste und verdienten Lohne; aber es ist nichtsdestoweniger dennoch wahr, und wer des achtet, hat davon selige Frucht: alles, was wir aus der Hand des HErrn empfangen, großes oder kleines, wird ihm pur lautere, unverdiente Gnade. Ebenso übersieht man insgemein den Beisatz, den die Gnade Gottes hat, die Worte: „in Christo JEsu“, die uns doch deutlich sagen, daß alle Gnade und Gnadengabe uns nur durch JEsum Christum kommt und uns nur dann gegeben wird, wenn wir in Christo JEsu sind, wenn wir Ihm eingepflanzt sind durch Sein theures Wort und Sakrament. Man kann die Gnade und die Gnadengabe von Christo JEsu niemals trennen. Wenn man dasjenige, was den Heiden und Ungläubigen von Gott Gutes erzeigt wird, mit dem Namen „Gnade“ bezeichnen, zu einer Art von vorlaufender Gnade machen will, woran man ja ganz recht thut, so kann man auch das nicht von den Wunden JEsu trennen, denn es ist alles Seines Schweißes und Blutes, auch was denen geschieht, die nicht in Christo JEsu sind, denen das Brot der Kinder Gottes wie den Hündlein des cananäischen Weibes zugetheilt wird. Insonderheit aber ziemt es den Kindern Gottes selbst, alle Gabe als Gnade und alle Gnade aus der durchbohrten Hand zu nehmen. Alles, was wir haben, soll uns an das Blut JEsu Christi erinnern, und so oft wir irgend etwas empfangen, werden wir aus dem Staub gehoben, aus dem Staub und Fluch der Sünden, und wir empfangen damit Gruß und Kuß von den Lippen des gnädigen Vaters JEsu Christi.

 Sagt nun der Apostel, daß er für die, den Corinthern in Christo JEsu gegebene Gnade danke, so wißen wir damit noch nicht, ob die Gnade, den Corinthern gegeben, groß oder klein, reichlich oder spärlich ist. Da begibt sich nun aber das Wort St. Pauli erklärend immer weiter vom Allgemeinen zum Besonderen, und seine heilige Feder legt uns aus, was er unter Gnade versteht. Er schreibt ja: „Ich danke Gott für die Gnade, die euch gegeben ist in Christo JEsu, daß ihr seid durch Ihn an allen Stücken reich gemacht.“ Weiß man damit auch noch nicht, was das für Stücke sind, so sieht man doch, daß eine reiche Gnade den Corinthern gegeben ist und daß sie mit den mannigfaltigsten Gnadengaben überschüttet worden sind, also Grund und Ursach genug vorhanden ist, dem HErrn zu danken, so wie nur jemand vorhanden ist, der den Willen und die Kunst hat, Dank zu sagen. Nun sehe man aber desto mehr, wie St. Paulus die Stücke alle, welche er im Sinn hat, in zwei große Klassen eintheilt und wie uns sein Finger auf zwei weite, reiche Gnadenmeere, auf zwei Sammlungen gnädiger Waßer des HErrn, hindeutet. „Ihr seid reich gemacht an allen Stücken,“ sagt er, und setzt erklärend hinzu „an aller Lehre und in aller Erkenntnis.“ Oder genau am Ausdruck: „An allem Wort und an aller Erkenntnis.“ Wohlan, da sehen wir also den corinthischen Reichtum und womit der allmächtige HErr die gesammte Pracht und allen den Reichtum der großen Handelsstadt Corinth überbieten wollte. Vor allem bekamen die Corinther sein theures Wort, und in demselben Lehre und Unterricht über alle Dinge des ewigen und des zeitlichen Lebens; aus dem Worte aber floß den Corinthern allerlei Erkenntnis zu. Das Wort rauschte also nicht über sie hin, wie über die Häupter der Kirchenschläfer und derer, die auch im Gotteshause ihre Gedanken bei allen möglichen anderen Dingen haben; das Wort schlug an an den Herzen, es schuf Licht und Erkenntnis, und die offenbarte göttliche Weisheit erzeugte in den Herzen Christenweisheit, Erkenntnis der Kinder Gottes, so daß in der corinthischen Gemeinde und bei ihren Gliedern Licht, Rath und Urtheil über alle Dinge zu finden war. Die Corinther

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/499&oldid=- (Version vom 1.8.2018)