Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/500

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

waren also nicht wie unsere gegenwärtigen Gemeinden zu sein pflegen: arm an Gottes Wort, weil geringe, unwißende Lehrer an ihnen arbeiten, blind, unwißend, einsichtslos, auch wenn das Wort reichlich gepredigt wird. Der Teufel nahm ihnen nicht alsbald nach jeder Predigt den Samen wieder hinweg, der ihre Seelen selig machen konnte, sondern sie wurden durchleuchtige, geistesvolle Menschen, von deren Leibe das Waßer des ewigen Lebens, das in sie gekommen war, troff, ja strömte. Und deshalb lobte und dankte der heilige Apostel, so oft er an die Corinther dachte. Er gehörte also nicht zu den Leuten, die das Wort und die Erkenntnis für nichts achten. Wie fällt vielen das Wort Gottes so beschwerlich, wie lästig ist ihnen Predigt und Lehre, wie lustig sind sie, alles thörichte, eitle, irdische Geschwätz zu hören, während sie ein Ekel befällt, so wie das Gespräch auf geistliche Dinge kommt; wie freudlos und werthlos ist ihnen das Wort, welches doch auch Engel gelüstet zu hören! Und die Erkenntnis in göttlichen Dingen, was gibt man für sie? Entweder erscheint sie als hinderlich für dieses Leben, oder doch nicht als förderlich, sie gilt für unnütz und man erlaubt sich gegen sie zu reden wie gegen das aufblähende Wißen derjenigen, welche die Offenbarungen und die mitgetheilte Erkenntnis des heiligen Geistes hochmüthig sich selbst zueignen und von Gottes heiligen Gütern die Zinsen sich in Rechnung schreiben. Was ist das für ein Gegensatz gegen die große und selige dankbare Freude des Apostels an Wort und Erkenntnis, die sich in unserm Texte ausspricht! Wenn auch er so gedacht hätte, hätte er unsern heutigen Text schreiben können? Hätte er behaupten können, daß an allen Stücken reich gemacht ist, wer an Wort und Erkenntnis reich ist? Laßt uns von ihm lernen, was uns lieber sein muß als viel tausend Stück Goldes und Silbers, als Honig und Honigseim und wofür wir als für eine Fülle aller Gnaden zu danken haben, wenn wir sie besitzen, und darnach streben, wenn wir sie nicht besitzen. Wort und Erkenntnis steige bei uns durch das apostolische Lob und St. Pauli Dank in Werth und Ehren.

.

 Mit Wort und Erkenntnis in den innigsten Verband setzt der Apostel die Befestigung des Zeugnisses Christi in den Corinthern. „Ihr seid reich gemacht in allem Wort und aller Erkenntnis, wie denn das Zeugnis Christi in euch fest geworden ist“; so sagt der Apostel, oder nach Luthers Uebersetzung: „Wie denn die Predigt von Christo in euch kräftig worden ist.“ Der Menschen Gedanken weben hin und her, und es ist in ihnen nichts Festes. Was der eine mit Gründen sagt, wird von dem andern mit Gründen widersprochen. Was einen Augenblick fest schien, fängt hernach wieder an zu wanken, und unter dem beständigen Hin- und Herschweben der Seele kommt man oft in die Gefahr, gar nichts mehr gewis zu wißen, allen Halt zu verlieren. Da ist in der That wahr, was geschrieben steht: es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, und dem Menschen ist daher nichts mehr zu wünschen und zu gönnen, als sichere Festigkeit und eine ruhige Gewisheit in der Wahrheit. Wenn wir das Wort von Christo haben und die Erkenntnis, und unsere Seele dadurch nicht ruhig wird, uns vielmehr die Einbildung sagt, es könnte auch Wort und Erkenntnis wie alles andere ein menschlicher Wahn und nicht vermögend sein, dies Leben und den Tod zu überdauern, so nagt an dem Herzen ein beständiger, wenn auch tief verborgener, heimlicher Wurm, der uns tief unglücklich macht und mit einem Wimmern des Todes den tiefsten Grund unseres Wesens erfüllt. Wir werden nicht froh, bis unser Herz fest geworden und uns eine göttliche Ueberzeugung gegeben ist von Christo JEsu und Seinem Heil. Haben wir diese, so schwindet die Furcht vor allem Unglück und jedem Tode, und wir sehen hinaus auf die Zukunft, obwohl sie dunkel ist, mit aller Gewisheit, daß sie sich nicht anders enthüllen könne, als zu unserem ewigen Heile. Diese unaussprechliche Wohlthat und dieses einzige Glück des Lebens hatten die Corinther. Sie hatten nicht bloß Wort und Erkenntnis, sondern von beiden die volle Wirkung, den unaussprechlichen Frieden, daß es mit ihnen ewig wohl stehe; das Zeugnis von Christo ruhte in ihnen, wie ein Fels im bewegten Meere. Deshalb war der Apostel froh und dankte dem HErrn für solche große Wohlthat. Aus dieser Wohlthat leitet er aber wiederum andere ab, denn er sagt ja: „das Zeugnis von Christo ist in euch fest, die Predigt kräftig geworden, also, daß ihr keinen Mangel habt an irgend einer Gabe.“ Wo also die Gnade des HErrn waltet, das göttliche Wort der Gnaden uns anhaucht, das Licht der Erkenntnis

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/500&oldid=- (Version vom 1.8.2018)