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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

diese Richtung rief den Widerstand der Juden hervor und ward in Stephano und seit Stephano die Erzmärtyrin und blutende Zeugin des wahren Christentums. Diese Richtung kam denn auch, wie wir Apostelgeschichte 17. lesen können, in und mit Paulo nach Thessalonich. Schnell entwickelte sich da der Gegensatz der Juden, je entschiedener die dort sich bildende Gemeinde auf die Seite Pauli trat; die Juden von Thessalonich wurden eifrige Feinde Pauli; sie waren nicht zufrieden, in dieser Stadt zu widerstehen, sie giengen weiter, folgten Paulo auf dem Fuße, suchten in Beröa hinderlich zu werden, – und wurden auch später ohne Zweifel die Ursächer aller der Leiden, welche immer aufs neue über die edle Gemeinde von Thessalonich selbst kamen. Die Gemeinde bestand aus Juden, aus Griechen, und unter den letzteren befanden sich auch viele vornehmere Frauen. Ueberlegt man diese Zusammensetzung der Gemeinde, so kann man nicht anders als vermuthen, es möchte bei dem Einen Glauben und der großen gegenseitigen Liebe eine überaus schöne Mannigfaltigkeit der Beziehungen sich ergeben haben, und wer da wollte, der könnte nach Weise unserer Tage durch Auffaßung und Ausmalung der irdischen Lebensbeziehungen, wie sie in Thessalonich waren, ein Lebensbild christlichen Gemeindewesens entwerfen, das alle Christen anziehen müßte. Wir würden es hiebei freilich niemals dahin bringen, so lebendige Farben für das Bild zu finden, wie das Bild hatte, welches St. Paulo in seiner Gemeinde von Thessalonich durch die genaue Kenntnis, die er besaß, vor Augen stand. Doch aber könnten wir auf diesem Wege ein Wort faßen lernen, das der Grundtext enthält, welches sehr stark und kräftig von dem Glauben und der Geduld der Thessalonicher Zeugnis gibt, im deutschen aber nicht leicht übersetzt werden kann und in der lutherischen Uebersetzung auch wirklich ziemlich verwischt ist. Nachdem nämlich der Apostel Vers 4. Geduld und Glauben der Thessalonicher in ihren schweren Leiden gepriesen hat, nennt er im Anfang des 5. Verses diese Geduld „einen Beweis, oder ein Voranzeichen des kommenden gerechten Gerichtes Gottes.“ Luther faßte den Sinn in die Worte: „welches – nämlich das geduldige Verhalten der treuen Gemeinde – anzeigt, daß Gott recht richten wird.“ So unverantwortlich war also die Begegnung der Juden, so abscheulich ihre Bosheit gegen die Christen, so glänzend aber dagegen das Verhalten der gläubigen und geduldigen Thessalonicher, daß man darin einen Beweis finden konnte, daß Gott rächen und richten müße. So etwas, wie das Auftreten der thessalonichischen Feinde Christi konnte nach Pauli Meinung nicht ungestraft bleiben; nach seinem Urtheil lag darin eine himmelschreiende, mächtige Herausforderung der göttlichen Gerechtigkeit. Daraus ergibt sich ein apostolischer Grundsatz für ähnliche Fälle, der nämlich, daß kein Frommer um seiner Frömmigkeit willen leidet, ohne daß Gottes Auge wacht und Sein Griffel die Thatsache ins Schuldregister der Welt einzeichnet. Große Leiden der Heiligen deuten dem Apostel geradezu auf nahende große Gerichte Gottes und sollen von denen, die da leiden, als Beweise und Voranzeichen derselben gefaßt werden.

 Wir stehen hier auf der Schwelle des ersten und zweiten Theiles unsers Textes. Laßet uns auf dieser Schwelle ein wenig stehen bleiben, sie und ihre herrliche Uebergangspforte beschauen. Leiden, um JEsu Christi und Seiner Wahrheit willen geduldig ertragen, sind also der Beweis, das sichere Voranzeichen vorhandener göttlicher Gerichte. Dieser Gedanke ist die Schwelle der beiden Theile unsers Textes. Der allgemeine Gedanke ist aber V. 5–7., ja, wenn man will, vom 5. Verse an in der ganzen noch übrigen Epistel ausgeführt. – Wir sind alle Sünder, vor unserer Bekehrung, nach unserer Bekehrung. Kommen Leiden über uns, welche ganz offenbar als Leiden um Christi willen aufgefaßt werden müßen, weil sie um Christi willen von der Welt uns auferlegt werden: so finden wir uns selten von ihnen so bewegt, wie dort die Apostel, welche fröhlich waren, um Christi willen Schmach zu leiden; meistens spürt der Christ, wenn er auch um Christi willen leidet, eine Heimsuchung der göttlichen Gerechtigkeit, eine Strafe für seine Sünde. Vertieft er sich nun nicht allein in diesen Gedanken, läßt er auch dem andern, daß er um Christi willen leide, – seine Leiden also Ehre und ein Grund der Freude sind, – sein Recht; so kann er nicht gescholten werden, denn auch das Gefühl der Bestrafung ist richtig. Es liegt das in einer Stelle St. Petri (1. Petr. 4, 17 ff.) ausdrücklich ausgesprochen. Wir lesen dort: „Die Zeit ist da, daß anfange das Gericht an dem Hause

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/550&oldid=- (Version vom 1.8.2018)