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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

schon das für eine Strafe, – Seine Herrlichkeit nicht schauen dürfen, ihrem Glanze entrückt sein, was für ein Jammer, – und nun bei einer solchen Entbehrung, der Entziehung eines ewigen Glückes noch eine besondere Strafe, ewiges Verderben, empfinden müßen, – untergehen müßen und doch nicht sterben können, sondern im Schmerze des Untergangs verbleiben müßen: ach, wer kann das beschreiben, was für ein Unglück wird damit bezeichnet! Es hat kein Auge gesehen, es ist in keines Menschen Herz gekommen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben: – und gewis, was ER denen bereitet hat, die ER von Seinem Angesichte und dem Lichte Seiner Herrlichkeit verstößt, das ist auch in kein Herz, in keinen menschlichen Gedanken gekommen; das ist uns allen verborgen. Wenn gleich unser Herz durch die Sünde für Leid und Schmerz empfänglich und empfindlich ist weit mehr als für Lust und Glück, so kann man vielleicht doch sagen, daß wir für die ewige Freude noch mehr Vorgefühl und Ahnung haben, als für die Höllenqual. Also nicht verstandenes, ungeahntes Wehe und Leid wird kommen über die, welche Gott nicht kennen und Seinem Evangelium sich nicht ergaben. Das wird der eine Theil des göttlichen Gerichtes sein.

 Und der andere Theil? Prachtvoll liegt es zu Tage in den letzten Worten unsers Textes: „ER kommt, verherrlicht zu werden in Seinen Heiligen und bewundert zu werden in allen Seinen Gläubigen an jenem Tage.“ Wenn also der Teufel und die Welt in ewiges Verderben gehen und der HErr an ihnen verherrlicht wird; so wird Er in Seinen Gläubigen verherrlicht und in ihnen und allen Gläubigen bewundert. Ich kann bei einer solchen Verherrlichung und Bewunderung nicht an eine unsichtbare Verherrlichung und Bewunderung denken; es muß eine Herrlichkeit sein, die in den Heiligen Wohnung nimmt, und nach außen erkannt wird, – und eine Bewunderung, welche in und unter den Gläubigen aufgerichtet wird, aber um sich greift, Engel und Teufel, Himmel und Hölle ergreift. Ich kann es nicht auslegen, wie das sein wird, wie der HErr am Ende Seine armen Heiligen und Gläubigen vollenden wird; ich kann davon nicht zeugen noch reden, wie ich von dem ewigen Verderben kein Zeuge sein kann. Die Ewigkeit wird die Zeugen stellen; die es erfahren, werden es wißen; wir aber, die wir das alles im Worte wie im Räthsel und dunkeln Spiegel sehen, die wir es nur aus der Weißagung und Drohung erkennen, wir stehen vor den lichten, wie vor den dunkeln Pforten der Ewigkeit bedenklich und schauernd: denn wir sind es, für welche dies alles kommt, und für welche das Eine kommen kann, aber auch das Andere.

 Was für eine Aussicht auf die Zukunft bietet uns der Text! Selige Thessalonicher, denen Erquickung und Ruhe, Verherrlichung und Bewunderung des HErrn geweißagt ist! O unglückselige, o bedauernswerthe Menschen, denen Strafe und ewiges Verderben fern von dem Angesichte des HErrn gedroht ist! Glücklich aber wir, wenn uns noch Zeit und Frist gegönnt, Kraft, Trieb und Gedeihen geschenkt wird, zu vermeiden der Feinde Loos und zu finden das Loos der seligen Thessalonicher, unter denen „Pauli Zeugnis Glauben fand“.

 Wenn ich nach aller der menschlichen Wiederholung der Worte Pauli von der Zukunft Christi, nach all meinem bewundernden Hinken neben dem göttlichen Zeugnis her, am Ende meinen Finger bedeutsam auf eine Stelle des Textes legen und sie wiederholen darf und soll, meine Brüder; so erwähle ich mir die Worte des 8. Verses, die ich absichtlich bisher nicht betonte: „ER kommt im Flammenfeuer, das da Rache üben wird an denen, die Gott nicht kennen, und an denen, die nicht gehorsam sind dem Evangelium unseres HErrn JEsu Christi.“ Also Gott nicht kennen, da man Ihn aus Seinem Worte kennen lernen konnte, und nicht an- und aufnehmen, nicht gehorsamlich ergreifen das süße Evangelium, es nicht in sich wirken und walten laßen, das ist Ursache genug, um Gottes ewige Strafe und Rache auf sich zu lenken! O Gott und HErr, wie viele sind also in Gefahr, ohne es zu bedenken, oder gar, ohne es zu wißen! Bedenke doch, wer Ohren hat zu hören, was zu seinem Frieden dient, – und wer nicht bedenken will, sondern die Jahre eines nach dem andern verträumt, den wecke sein Nachbar, den laße man nicht gehen. Jeder arbeite an sich, jeder am andern: Alles strebe nach Benützung der Lebenszeit und schaffe seine Seligkeit. Gott erkennen, dem Evangelium gehorchen –

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/553&oldid=- (Version vom 1.8.2018)