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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

deines Unwerths durch sie gewirkt wird. Feurige Kohlen sind Gottes Wohlthaten auf dem Haupte Seiner Kinder und Seiner Feinde. Sie verbrennen den, welcher nicht erkennt, von wannen sie kommen, und was sie sollen. Sie wirken aber heiße Andacht der Buße bei denen, welche sie erkennen.

 5. Demuth ist auch Größe. „Wenn Du mich demüthigst, machst Du mich groß.“ Demuth ist groß genug, auch wenn nicht, wie bei Petrus, eine äußerliche Größe des Berufs dazu kommt. Demuth ist so groß, als etwas sein kann, in den Augen Deß, der auf’s Niedrige sieht und Hoffahrt haßet. Ein umgekehrtes Wesen des natürlich hoffährtigen Herzens ist der Adel der heiligen Kirche, welcher auch den Hoffährtigen Ehrfurcht abnöthigt, wenn er ohn Unterlaß blüht und duftet in seiner Art.

 6. Petrus wechselt den Beruf. Aus dem Fischer wird ein Menschenfischer. Nicht immer also ist Wechsel des Berufes Untreue gegen den HErrn. Es kann göttliche Gründe des Wechsels geben. Aber sieh wohl zu, es sind nicht viele, die der HErr zu Seinen Zeiten zu anderem Berufe bestimmte. Nicht die Unfruchtbarkeit des Netzes ward für Petrus ein Grund, den Beruf zu wechseln, – sondern das Wort des HErrn. Wird dirs deutlich sprechen? Spricht vielleicht dein Gott: „Gedulde dich, Mein Segen und Lohn kommt bald!“? Es ist ja Seine Weise, zu sprechen: „Die Einsame wird mehr Kinder haben, denn die den Mann hat.“

 7. Alles verlaßen und Ihm nachfolgen: ists schwer, ists leicht? Jedenfalls schwerer ist: „Nichts verlaßen und Ihm nachfolgen!“ Was ists, wenn Petrus seine Hütte, sein Schifflein, sein Netz verläßt, um in Seiner sichtbaren Nähe, bei Seinen Worten des ewigen Lebens, dazu an Seinem Tisch zu sein, aus Seiner Fülle zeitlich und geistlich Gnade um Gnade zu nehmen? Aber bleiben in dem, darin man berufen ist, bei der väterlichen Hütte, dem Schifflein, dem Netz, – Ihn nicht schauen, und doch bei Ihm sein, an Ihm hangen, nur Ihm leben! Welch eine Freiheit, welch ein Wunder! Lehre uns, lieber HErr, was Du uns befiehlst, beim Gütlein bleiben und Dir nachfolgen! Und wenn Du befiehlst, alles zu laßen, und aus Deiner unmittelbaren Hand gespeiset, getränket zu werden, seis in Verfolgung – oder im Tode, so lehrs uns auch, damit wir allewege Dein seien!


Am sechsten Sonntage nach Trinitatis.
Matth. 5, 20–26.

 ES ist auffallend, wie viele Menschen sich eigener Gerechtigkeit rühmen. Nicht bloß Ehrbare und Rechtschaffene rühmen sich, sondern auch solche, die offenbar in groben Sünden wandeln. Rühmt sich doch auch der Trunkene, der Ehebrecher, der Dieb! – Woher dies so allgemeine Rühmen! Ganz offenbar daher, daß man einen zu kurzen Maßstab an sich selbst legt, und deshalb sich größer vorkommt, als man ist. Ein jeder thut mit sich, wie jener Betrüger mit dem Zwerglein Gernegroß. Während das Zwerglein im Bade sitzt, schneidert ein Schneider die kleinen Kleider noch kleiner, – und siehe, das Zwerglein hüpft vor Freuden, daß er größer werde. – Ein jeder braucht zwar, darf man seiner Versicherung trauen, die zehen Gebote Gottes zum Maßstab und Prüfstein seines Lebens; aber die Versicherung ist doch nicht völlig wahr. Mancher legt die zehn Gebote buchstäblich, nur aufs äußere Leben aus – dann fordern sie freilich nur Erreichbares und man kann ihre Früchte vom Baume des alten, pharisäischen Menschen lesen; aber damit hat man eben den Maßstab nur am Griff, nicht an der wahren Ausdehnung erkannt. Ganz anders wird die Sache, wenn man den Sinn der Gebote nach den Auslegungen JEsu in der Bergpredigt, wenn man ihn in der Weise faßt, wie er im heutigen Evangelio bezüglich des fünften Gebots gefaßt wird. Da wird jedes Gebot ein heller, lichter Strahl, der von der hohen Sonne bis in den tiefsten Schlund der Erde dringt: – das ist dann ein Maßstab, für den zu kurz und klein ist, wer unter der Sonne wandelt. Der beschämt jeden Hochmuth und legt ihn in der Vernichtung Staub. – „Tödte nicht!“ Aeußerlich gefaßt, spricht dies Gebot viele heilig. Aber: „zürne nicht“, „schilt nicht zornig“, „schilt nicht in grimmiger Verachtung deinen Gegner!“ Das lautet anders! Da wird von

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/567&oldid=- (Version vom 1.8.2018)