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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am siebenten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Marc. 8, 1−9.
1. Zu der Zeit, da viel Volks da war, und hatten nichts zu eßen; rief JEsus Seine Jünger zu Sich, und sprach zu ihnen: 2. Mich jammert des Volks, denn sie haben nun drei Tage bei Mir verharret, und haben nichts zu eßen; 3. Und wenn ich sie ungeßen von mir heim ließe gehen, würden sie auf dem Wege verschmachten. Denn etliche waren von ferne gekommen. 4. Seine Jünger antworteten Ihm: woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, daß wir sie sättigen? 5. Und Er fragte sie: Wie viel habt ihr Brote? Sie sprachen: Sieben. 8. Und Er gebot dem Volk, daß sie sich auf die Erde lagerten. Und Er nahm die sieben Brote, und dankte, und brach sie, und gab sie Seinen Jüngern, daß sie dieselbigen vorlegten! und sie legten dem Volke vor. 7. Und hatten ein wenig Fischlein; und Er dankte, und hieß dieselbigen auch vortragen. 8. Sie aßen aber und wurden satt; und hoben die übrigen Brocken auf, sieben Körbe. 9. Und ihrer waren bei vier tausend, die da gegeßen hatten; und Er ließ sie von Sich.

 DAs Evangelium am heutigen Sonntage ist demjenigen, welches wir am Sonntage Lätare aus Joh. 6. gelesen haben, sehr ähnlich. Heut lasen wir von der Speisung der viertausend Mann, am Sonntag Lätare wird die Speisung der fünf Tausende gelesen. In der Zeit der Saat und in der Zeit der Aernte sollen wir an Den erinnert werden, der durch Seinen Segen aus Wenigem Vieles, aus der Saat die Aernte macht. Daß die Väter zweimal einerlei Evangelium erwählten, ist nicht etwa ein Gedächtnisfehler oder sonst ein Fehler, sondern es ist Absicht. Sie wollen zu verschiedenen Zeiten dieselben Gedanken in den Herzen der Christen erwecken, weil für beide Zeiten gerade diese Gedanken gut und nöthig sind. Oder ist’s nicht so? Soll nicht der Säende und der Aerntende, der Betende und der Dankende an Den denken, welcher mit Seiner Allmacht für jenen Trost und Hoffnung, für diesen die wohlerkannte Quelle alles Segens und ein Gott ist, dem Dank und Anbetung gebührt? Getrost und dankbar dem doppelten ernsten Winke, auf den Anfänger und Vollender alles Segens aufzuschauen, haben wir die beiden ähnlichen Evangelien gelesen. Getrost und ohne Aengstlichkeit darf und soll ich euch aus den ähnlichen Evangelien ähnliche Gedanken vortragen, weil sie euch nützlich sind. Es paßt hieher der Spruch des heiligen Paulus, wenigstens in einem gewißen Maße: „Daß ich euch immer einerlei schreibe, verdrießt mich nicht, und macht euch desto gewißer.“ Fangen wir fröhlich die ins Einzelne gehende Betrachtung an. Was ich sage − und schon am Sonntage Lätare gesagt habe, das sei euch desto wichtiger; und was ich damals nicht sagte und heute sage, das wendet auch auf jenes Evangelium an, so weit es recht ist.


 Es ist viel Volkes bei JEsu, bei viertausend Mann, und sie sind nicht eben heute erst auf ein paar Stunden zu Ihm zusammengeströmt. Es waren drei Tage vergangen, seitdem sie in der unwirthbaren, unbequemen Wüste bei dem HErrn Herberge genommen haben. Haben sie daheim nicht zum Theil Weiber und Kinder, zum Theil Väter und Mütter oder andere Angehörige, daß sie so lange abwesend sein können? Sind es lauter Müßiggänger, die nichts zu versäumen haben? Was veranlaßt uns, so zu denken? Es ist keine Ursache vorhanden, dem Volke Uebles nachzureden. Es ist auch nicht wahrscheinlich, daß die, welche sich in Israel so sehr zu JEsu drängten, der schlechteste Theil des Volkes waren. Vielleicht war es vorzugsweise der beßere Theil. Die Wüste bietet keinerlei Erquickung. Da ist keine Speise und vielleicht

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 046. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/385&oldid=- (Version vom 17.7.2016)