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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Das Gleichnis vom ungerechten Haushalter hat vielen Lesern, Hörern und Auslegern mehr Noth gemacht als nöthig war. Man beobachte den Zusammenhang und die Absicht JEsu, und das Gleichnis ist klar. Unbußfertige, rohe Sünder, wie der ungerechte Haushalter wißen sich aus den Folgen und Verlegenheiten ihrer Sünden zu helfen, und bußfertigen Sündern, Gottes neugeborenen Kindern, sollte kein Weg übrig sein, sich in der Stunde des Darbens und des Gerichtes zu helfen? Sie mögen sich der Heiligung befleißigen und für gute Zeugnisse vor Gott, dem Richter alles Fleisches, sorgen, so wird die Vergebung, welche sie hier beruhigt hat, ihnen auch bleiben am Tage des Gerichts. Heiligung macht den Sünder, der Vergebung fand, hier und dort seines Heils gewisser; denn die Heiligung ist die von Gott gewollte Folge und Besiegelung der Vergebung. Das ist im Kurzen der Sinn des Gleichnisses, welches wir nun genauer betrachten wollen.


 Das Gleichnis stellt die Zöllner als ungerechte Haushalter dar, welche ihres HErrn Güter umgebracht hätten. Gleichwie der ungerechte Haushalter, der selbst nicht so viel hatte, um zu leben wie ers begehrte, in die Säckel seines Herrn griff und mit dem fremden Eigentum umgieng als wäre es sein; so hatten auch die Zöllner nicht selbst die Güter, welche sie gerne gehabt hätten, um zu praßen, darum griffen sie durch betrügerische Forderungen, die sie an die Leute in ihrem Berufe machten, in fremde, d. i. im Grunde in des HErrn, ihres Gottes, Säckel und stahlen ihm das, was er ihnen nicht gegeben hatte, noch geben wollte; sie wurden wohlhabend durch Betrug und praßten vom Raub. Sie waren dem ungerechten Haushalter im Erwerb und in der Anwendung ihres Reichtums gleich. Wenigstens wißen wir das aus dem Neuen Testamente und aus andern Zeugnissen des Altertums. Deshalb verdiente auch das ganze vormalige Leben der Zöllner die Vorwürfe der Pharisäer, so wenig auch diese selber damit gerechtfertigt waren: und wenn es dem HErrn unter Menschen, die Zöllner und Sünder gewesen waren, und ferner Zöllner und Sünder bleiben wollten, gefallen hätte, so hätten freilich die elenden Pharisäer mit ihrer Verwunderung über das Thun JEsu und mit ihrem Murren Recht gehabt.


 Das war nun aber anders und das Gleichnis stellt uns in der Verlegenheit des ungerechten Haushalters die Verlegenheit der Zöllner dar, in welche sie bei dem lebendigen Gedanken an die Rechenschaft kommen mußten. Das üble Haushalten des ungerechten Verwalters war vor die Ohren seines Herrn gekommen, wie das Gleichnis sagt, und der Herr hatte ihm deshalb Rechnung abgefordert und ihm angekündigt, daß er forthin in seinem Amte und Dienste nicht bleiben könnte. So wurde den Zöllnern durch die Predigten des HErrn eine ernste Mahnung zu Theil; seine gewaltigen Reden von Gericht und Ewigkeit hatten ihnen mit einem Male den eitlen Selbstbetrug ihres Lebens zerstört, sie kamen zur Erkenntnis, daß es ein Ende mit ihrem zeitlichen Thun nehmen müße, daß hinter dem Tode eine Frage nach ihrem Wandel gestellt, eine Verantwortung gefordert, ein Urtheil gesprochen werden würde, − und die Stimme: „Thue Rechnung von deinem Haushalten“ war aufschreckend, die Stimme: „Du kannst hinfort nicht mehr Haushalter sein“ war zerknirschend in ihre Seele gedrungen. Die armen Schwelger, die betrügerischen, ungerechten Zöllner waren in einer Verlegenheit wegen ihrer ewigen Zukunft, wie der ungerechte Haushalter im Gleichnis in einer Verlegenheit wegen seiner zeitlichen Zukunft war. − Liebe Brüder ich leugne es nicht, daß es schlimm ist, wenn man in Verlegenheit kommt; aber ich muß doch auch gestehen, daß die Verlegenheit eines armen Sünders wegen seines ewigen Heiles eine gesegnete Verlegenheit sei. Es fehlt gewis auch unter uns nicht an solchen, die zeitliches Gut übel erworben oder übel angewendet oder auch beider Sünden, wie die Zöllner, sich schuldig gemacht haben. Wenn nun diese nur auch, während wir diese Betrachtungen anstellen, in die Verlegenheit der Zöllner kämen und im Verlauf unsrer Betrachtung so mit fortgeführt würden auf dem Wege der Errettung, zum ewigen Ziel, zu den ewigen Hütten! Aber leider, leider, das Widerstreben schuldbewußter und doch stolzer Seelen ist so groß, daß es einen nicht verwundern darf, wenn die Wahrheit, welche in die Seelen dringt, nicht beßernd und heiligend durchgreifen und den Menschen retten kann. Denn die Wahrheit errettet die Unwilligen nicht, und sie hilft nicht mit Gewalt; sondern ihr Weg ist der des stillen, sanften Sausens und einer eindringenden, überwindenden Ueberzeugung.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 058. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/397&oldid=- (Version vom 17.7.2016)