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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

in ihr gegründet sein. Unsre Grundstellung zu Gott ist aber die Demuth, die nicht verzweifelnde, sondern vertrauensvolle, herzliche Erkenntnis unserer geistlichen Armuth und Blöße. Mit der Demuth aber ist der Dank innigst verwandt, ja ein Dank ohne Demuth und eine Demuth ohne Dank laßen sich beide nicht denken. Wie könnte die Demuth irgend eine Wohlthat ihrem Verdienste zuschreiben, da der unwandelbare Mittelpunkt ihres Lebens das Bekenntnis ist: „ich bin ein Sünder, arm, nackt, blind und bloß, mit Schuld beladen, Fluches und aller Strafen werth.“ Und wie könnte der Dank ohne Demuth sein, da all sein Bekennen unverdiente Güte eines andern preist? Demüthiger Dank entäußert sich eigener Gerechtigkeit und erfreut sich einer fremden Tugend, preist sie und rühmt die Liebe des Wohlthäters. So sucht er nicht mehr das Seine, sondern das, was des andern ist, und indem er das thut, wird er zur Liebe verklärt. Die Wohlthat war eine Aeußerung der Liebe − und der Dank ist dasselbe; so kommen sie einander entgegen und durch solches Geben und Nehmen wird beigetragen zum Bau der Gemeinschaft der Heiligen, welche der Preis Gottes auf Erden und der Segen der Menschheit ist. Ja dieses Geben und Nehmen ist zugleich etwas so Fröhliches und Seliges, und die es üben, werden durch eine heilige Freude so verklärt, daß nichts so sehr geeignet ist, die Herrlichkeit des Dankes zu zeigen, als dieser selige Frühlingshauch himmlischer Freude über dem Angesichte des Wohlthäters und des Dankenden. Wie herrlich durch Freude mag wohl jene Stunde gewesen sein, da das Auge JEsu auf dem zu Seinen Füßen liegenden dankbaren Samariter ruhte. Welch’ einfältig schöne Demuth, die den Samariter zu JEsu Füßen niederbeugt! Welch’ eine heilige Liebe des Dankbaren zu dem Wohlthäter! Welch’ eine Gemeinschaft, welches selige Leben zwischen beiden! Stieg es doch so hoch, daß hinwiederum der einzige Ursächer aller Reinigung des Aussätzigen sein alleiniges Verdienst der Hilfe dem Glauben des Genesenen zusprach − in den Worten: „Dein Glaube hat dir geholfen!“ So wird dann freilich Demuth und Liebe des Samariters überwogen von Lieb’ und Demuth JEsu, und die Seligkeit des Helfers in solcher Gemeinschaft mit dem Genesenen vermag unser Auge weder zu schauen noch zu schätzen! Da erkennt man eine Herrlichkeit des Dankes, welche man nur eilen sollte, sich selbst durch Dank gegen Gott und den Nächsten zu verschaffen und zu stärken.

 Dagegen ist der Undank so häßlich, daß sich über ihn selbst der HErr verwundert. Der HErr erkennt die Tiefe der menschlichen Verderbnis, Er begehrt nicht, Feigen von Dornen und Trauben von Disteln zu lesen. Er verwundert sich über keinen argen Gedanken, welcher aus dem Herzen hervorkommt. Aber über den Undank der Neune, die den Weg des Samariters nicht fanden, die, bloß der Wohlthat, aber nicht des Gebers sich erfreuend, zu Ihm nicht zurückkehrten, − über diesen Undank verwunderte Er Sich laut. Fast scheint es, als wenn Er den Undank nicht bloß für etwas Unchristliches, sondern auch für etwas Unmenschliches und Teufelisches angesehen hätte. Schaudernd vernimmt man die Frage: „Sind ihrer nicht zehn rein worden? Wo sind aber die Neune!“ Es ist dieß wie eine Warnung über alle Undankbaren, wie eine Erklärung geheimnisvollen Abscheus JEsu vor dem Undank! Und freilich, der Undank ist alles Abscheus werth. Der Undank schadet sich selbst, denn er beraubt sich der Freuden des Dankes! Er ist eitel blinde Selbstsucht, jagt bloß nach eingebildeter Befriedigung und kennt doch den höchsten Adel des Menschen, die Liebe, nicht! Er ist ohne Erkenntnis seines ungöttlichen Wesens und darum ohne Demuth; ohne Erkenntnis Gottes und Seiner Gnade und darum ohne Andacht und Anbetung. Er ist das häßliche, schwarze Gegentheil des lichten, himmlischen Dankes. Wem der Dank an und für sich nicht gefällt, der stelle ihn nur dem Undank gegenüber, so wird er ins Licht treten. Wem der Samariter nicht schön und ehrwürdig erscheint, der stelle ihn nur neben die Neune, die Undankbaren, und sage, ob es nicht recht und wohlgethan ist, daß der Wächter die Schläfrigen alle Tage mit seinem Spruch:

Neun undankbar blieben sind;
Fleuch den Undank, Menschenkind!

an dieß häßliche Ungeheuer der Nacht, den Undank erinnert. „Fleuch, fleuch den Undank, Menschenkind!“ rufe ich am Morgen − „fleuch, fleuch ihn!“ ruft die Kirche ohn’ Unterlaß und wohl dem, der den Spruch vernimmt und sich durch ihn beßern läßt.

 3. Gerne möchte ich euch noch mehr zum Danke dringen, vom Undank euch noch mehr abschrecken.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 089. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/428&oldid=- (Version vom 24.7.2016)