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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Siehe, wie die Klarheit des HErrn JEsus von der Krippe und dem Stalle weiter dringt. Er hat in der That keinen Raum mehr in der Herberge, obwol in anderem Sinne, als zur Zeit der Ankunft Seiner Mutter in Bethlehem. Er hat keinen Raum in der Krippe und keinen im Stalle. Er macht sich Bahn und vor Ihm verschwindet die Nacht, in der Er geboren und auf Erden angekommen ist. Zuerst preisen Ihn allein Maria und Joseph, dann kommen die Hirten zum Isaac des Neuen Testamentes, zum Freudenkindlein, − und bald wird es wahr werden, was der Engel sagte: „Ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Bethlehem wird dieß Wunder, die kleine Stadt wird den Glanz dieser Begebenheit nicht einschließen, nicht verbergen können. Es wird in Jerusalem und in ganz Judäa, es wird in Galiläa, in Samaria und allen angrenzenden Ländern ruchbar werden, was der HErr gethan hat. Diese Nachricht, diese Botschaft, dieß Evangelium wird in das Volk fallen, wie das Sonnenlicht in den Nebel. Es wird eine Bewegung geben in den Massen, man wird sehen, wie es sich in ihnen scheidet und sondert, es wird dann Licht werden. Christus wird von vielen erkannt und geglaubt, von vielen mit hohen Freuden begrüßt werden, die Kinder Israel werden sich in großer Zahl zu Ihm sammeln, bis am Ende der Tage die große Schaar erlöster Knechte vollzählig sein wird, welche St. Johannes in der Offenbarung vor dem Throne des Lammes sah.

 Aber auch Juda und Israel, das gesammte heilige, gelobte Land, die anliegenden Länder werden noch nicht die letzten Grenzen sein für das Lob und die Anbetung des Neugeborenen. Schon die Predigt des Engels weiß von so engen Grenzen nichts, und wer daran zweifeln könnte, der nehme des Gewisheit aus dem Lobgesang der Engel. Die Engel nennen ja schon Mariens Sohn einen „Frieden der Erde,“ ein „Wohlgefallen Gottes unter den Menschen.“ Also ist die ganze Erde, also sind alle Menschen im himmlischen Rathsschluß zur Freude Mariens und Josephs, zur Freude der Hirten, zur Freude des Volkes Israel berufen. Also soll die Freude an Ihm, dem Neugeborenen, Seine Anbetung, Seine heilige Religion ein Gemeingut der Menschheit werden und Seine heilige Kirche soll ihre Glieder auf der ganzen Erde, unter allerlei Menschen finden. Nicht eine Landeskirche, sondern eine Kirche der Völker soll sie werden, weil Christus auch nicht ein Heiland Israels, sondern ein Heiland der Völker und der ganzen Welt sein soll.

 So geht das Licht des HErrn aus und umwebet die Erde − und bleibt endlich auch nicht auf der Erde allein, sondern es steigt auf zum Himmel und füllet auch ihn. Vom Himmel kam es, um die Erde zu gewinnen, und zum Himmel geht es, um auch ihn zu gewinnen und einzunehmen. Darum haben auch die Engel den HErrn nicht bloß einen Frieden der Erde, ein Wohlgefallen Gottes unter den Menschen genannt, sondern auch eine Ehre Gottes in der Höhe. Also ist der neugeborene Christus nicht nur auf Erden groß, sondern auch im Himmel. Der Himmel freut sich Seiner Geburt, und Gott in der Höhe erkennt in ihr Seine größte Ehre. Im Wohlgefallen und der Liebe zu Christo vereinigt sich Himmel und Erde, die höchste Höhe und die tiefsten Tiefen. Gott, Seine Himmel, Seine Engel, Seine Erde − alles ist Christi voll, des heute Geborenen, alles freut sich Sein.

 Vor Christi Geburt gieng es so klein her im Reiche Gottes − das Reich schien immer kleiner zu werden, auszusterben. Bei seiner Geburt eröffnen sich neue Aussichten, glänzende Zustände und Siege des Reiches Gottes werden über der Krippe geweißagt. Zwar von der Krippe an schweigen wieder die Engellieder, und des Herrn Klarheit leuchtet nicht mehr; in tiefster Niedrigkeit und Demuth arbeitet der Menschensohn an der Ehre Gottes und dem Frieden der Erde. Aber es geschieht denn doch, was die Engel sangen – Ehre, Friede, Wohlgefallen bleiben keine bloßen Verheißungen; sie kommen zu Stande und das Ende wird beweisen, daß Christi Thaten und Arbeit des Lobgesangs aller himmlischen Heerschaaren und der Anbetung aller Creaturen werth sind. Der Himmel war Sein vor der Geburt, betete Ihn an in Seiner Geburt, sah auf Ihn und begleitete Ihn, wohin Er auf Erden wandelte, und wurde unter unsterblichem Jauchzen in neuer Weise Sein, als Er auffuhr. Sein ist der Himmel − und im Himmel ist Er selber Gottes größte Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn obschon die Schöpfung ist eine Ehre Gottes, obwol die Himmel selber erzählen die Ehre Gottes und die Feste Seiner Hände Werk verkündigt; so ist doch die Menschwerdung, die Aufnahme

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 033. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/44&oldid=- (Version vom 22.8.2016)