Seite:Wilhelm Löhe - Sieben Vorträge über die Worte JEsu Christi vom Kreuze.pdf/93

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

innere gekommen sei, daß Ihm Selbst die Einsicht in die Ursache oder in die Absicht Seiner Leiden entzogen wird. Bei den ersten und den letzten Worten vom Kreuze hat Er gewis den klaren Blick gehabt, aber wie wars bei dem mittleren? Als Johannes in Machärus saß, und ihm die Werke Christi berichtet wurden, ließ er JEsum fragen: Bist Dus, oder bist Dus nicht, und weil es so etwas Außerordentliches ist, daß der Morgenstern selbst an der Sonne zweifelhaft wird, von welcher er das Licht empfieng, so sind die Ausleger, und unter ihnen was für Namen! auf den Gedanken gekommen, Johannes habe mit der täuschenden Frage nur seinen Jüngern Gelegenheit geben wollen, aus JEsu eigenem Munde die selige fröhliche Warheit zu vernehmen. Ich halte das für eine völlig unnöthige Auslegung und bleibe wie immer so lange am Wort, als mich das Wort selbst nicht zwingt, versteckteren Sinn zu suchen. Sollte nun aber etwa das letztere hier bei dem vierten Worte JEsu der Fall sein? Ist es denn möglich anzunehmen, daß der HErr am Kreuze so von Gott verlaßen worden sei, daß Ihm der Zusammenhang Seiner Leiden mit Seinem Leben vorher und nachher, von der Menschwerdung bis zur ewigen Verklärung vergieng? Soll man annehmen, daß Seine Schmerzen, Seine Angst, Seine Einsamkeit und Versuchung Ihm alles wegnahm, alle Erkenntnis Seines Werkes, nur nicht Sein gutes Gewißen, welches sich in dem Ausruf: Mein Gott! mein Gott! und in dem doch immer auch noch einigermaßen zu betonenden Wörtchen „mich“ ausspricht? Ich muß es gestehen, daß mir vor einer solchen Tiefe Seiner Leiden nur desto mehr graut, dennoch aber scheint mir die Auslegung, als habe der HErr mit Seinem „warum“ nur andere veranlaßen