Unter den Sternen am Himmel der deutschen Tonkunst
einer der strahlendsten, unter den deutschen Meistern
der Tondichtung einer der unerreichten – vielleicht
kaum erreichbaren. Der unbedeutende Ort Weidengen
in der Oberpfalz ließ Gluck das Licht der
Welt erblicken, der böhmischen Grenze nah, und der
musikalische Genius, der über Böhmens Bergen schwebt,
küßte dem Knaben den Kuß der Weihe. Frühzeitig
der Musik mit vollem Seelenantheil sich zuwendend,
kam Gluck nach Prag, bildete dort sich aus und reiste
im Jahr 1738 nach dem klangreichen Italien, fand
in Mailand bei dem Prinzen Melzi zuerst eine feste
Stellung und entfaltete nun mehr und mehr die mächtigen
Schwingen seines Genius. Es genügte Gluck
nicht, auf die höchste Stufe der Opernschöpfung zu
treten, wie letztere damals war, er wollte neue Bahnen
brechen in seiner Kunst, das veraltete beseitigen, den
Schlendrian und schnöden Klingklang bannen; der
vollste musikalische Ausdruck der Gedanken und Gefühle
und die reinste Wahrheit waren die Endziele seines
kräftigen Strebens. Die erste Oper, mit welcher Gluck
vor das Publikum trat und es entzückte, war Artaxerxes,
schon ein Werk voll Mannesreife, den Text
begreifend und richtig würdigend, nicht ihn unterordnend
und nicht, wie so viele Tondichter thun, ihn
als den todten Leichnam betrachtend, dem sie erst Leben
und Seele einhauchen, indem sie ihn mit der
möglichsten Willkühr mißhandeln und verstümmeln
oder durch endlose selbstgefällige Wiederholungen ihn
ausspinnen und dehnen. Alles, was bisher für ansprechend
und schön gegolten hatte, die wälschen Schnörkel
und unnützes Beiwerk, verwarf Gluck und gründete
sich dauernden Ruhm auch durch seine folgenden
Opern: Demetrius, der Sturz der Giganten,
zuerst 1745 in London zur Aufführung gebracht, dann
Orpheus, Alzeste, Armida. Kopenhagen, Wien
und Paris sahen nun nacheinander den großen Tonkünstler
in ihren Mauern, und in letzter Stadt kam
Glucks unsterbliche Iphigenie in Aulis, Text
von dem französischen Dichter Bailli de Rouet zur
Aufführung, alle Herzen entzückend, obschon der Aufführung
Anfangs große Schwierigkeiten entgegengethürmt
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/143&oldid=- (Version vom 14.9.2022)