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Sonderbarer Gebrauch des Rattengiftes

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Textdaten
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Titel: Sonderbarer Gebrauch des Rattengiftes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 152
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Arsen als Stimulans und Schönheitsmittel
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Bearbeitungsstand
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[152] Sonderbarer Gebrauch des Rattengiftes. Insofern man allgemein Ratten mit Arsenik vergiftet, nennt der Bauer dieses Metall mit Recht mit dem familiären Namen Rattengift. Einen weitern Gebrauch kennt er in der Regel nicht. Wie wird er sich daher wundern, wenn er hört, daß man in England und anderswo Pferde damit stärkt und füttert und in Oesterreich, Ungarn u. s. w. dasselbe Rattengift mit Erfolg von unzähligen Menschen als Schönheitsmittel genossen wird. Wir würden es selbst kaum glauben, wenn nicht der berühmte englische Chemiker „des gemeinen Lebens“, Johnston (auch in deutschen Uebersetzungen berühmt, obgleich er im Wesentlichen alle seine Weisheit von den deutschen Naturforschern Liebig und Schleiden gestohlen hat) und Dr. Tschudi die Sache aus eigener Erfahrung berichteten. Letzterer sagt: „Fast alle Bewohner von Nieder-Oesterreich, besonders an der ungarischen Grenze, huldigen der Gewohnheit, Arsenik zu essen. Sie kaufen es unter dem Namen „Hedri“ von herumreisenden Hausirern, die sich es von den Arbeitern in Glashütten und Bergwerken (wo viele arsenikhaltige Erze gegraben werden) zu verschaffen wissen. Dieses Gift, in sehr mäßigen und allmälig steigenden Dosen regelmäßig genossen, giebt eine gesunde, frische Hautfarbe und mit der Zeit eine behagliche Fülle des Fleisches. Mancher, der zu schnell schön oder dick werden will, nimmt auch zu viel und vergiftet sich, wie viele Geistliche bezeugen können, denen die Sterbenden in der letzten Stunde ihre Sünden beichten. Ein anderer Vortheil entspringt den Arsenik essenden Berg-Jägern in Steiermark und Tyrol dadurch, daß es Leichtigkeit und Kraft in den Gliedern giebt und den Athem erleichtert, wie auch die mit Arsenik behandelten Pferde beweisen. (Noch größer und zauberhaft ist dieselbe Kraft aus den Coka-Blättern, welche die Indier kauen oder als Thee trinken.) Mit einem erbsengroßen Stückchen Arsenik im Munde verfolgt der Gemsenjäger Tage lang das Wild über Abgründe bis in die luftdünnsten Höhen, ohne Beschwerde zu fühlen. Man fängt mit einem erbsengroßen Stückchen an und fährt fort, bis Mancher an einem Tage so viel verzehrt, als 1000 Ratten nicht vertragen würden. Ich kenne einen Bauer, der 40 Jahre lang Arsenik gegessen und sich der vollkommensten Gesundheit erfreut. Wer einmal angefangen, darf aber nicht wieder aufhören, ohne sich durch das im Körper steckende zu vergiften.“ Es ist wie die Freundschaft mit dem Teufel, der die ganze Hand nimmt, wenn man ihm einen Finger gegeben, dann den Kopf und endlich den ganzen Kerl. Wer über Beseligungsmittel, welche die Menschheit millionencentnerweise außer Bier, Wein und Branntwein genießt (Taback, Opium, Betelnuß, Coka-Blätter, Hanfrosinen u. s. w.) etwas Näheres und Gescheidtes erfahren will, findet in dem zweiten Theile von Johnston’s „Chemie des gemeinen Lebens“ reiche Beute.