Statistik und Politik, insbesondere Verwaltungsstatistik
Literatur:
[Bearbeiten]- L. v. Stein, Handbuch der Verwaltungslehre I. Bd. Stuttgart 1887. S. 186 u. ff.
- – E. Mischler, Handbuch der Verwaltungsstatistik. I. Band. Stuttgart 1892.
- – H. v. Scheel, Die Statistik als Teil der Verwaltung in v. Schönberg, Handbuch der polit. Ökonomie III. 2. 4. Aufl. Tübingen 1898. S. 219 u. ff.
- – G. v. Mayr, Statistik und Gesellschaftslehre; I. Band: Theoretische Statistik (Handbuch des öffentlichen Rechts, Einleitungsband, Freiburg und Leipzig 1895 (2. Aufl. im Druck); II. Band Bevölkerungsstatistik 1897; III. Band Sozialstatistik Lieferung 1 bis 4, 1909 u. 1913). (Mit Band III wird die Moralstatistik zum Abschluss kommen, Band IV wird als Schlussband die Bildungs- Wirtschafts- und Politische Statistik behandeln).
- – G. v. Mayr, Begriff und Gliederung der Staatswissenschaften. 3. Aufl. Tübingen 1910 (Enthält S. 128–160 eine Skizzierung des gesamten Systems der Statistik).
- – A. Meitzen, Geschichte, Theorie und Technik der Statistik. 2. Aufl. Stuttgart und Berlin 1903.
- – G. v. Mayr, Die Bedeutung der Statistik für die Verwaltung und die Wissenschaft (Zeitschrift für schweizerische Statistik 1909). S. 683 u. ff.
- – F. Kühnert, Die Beziehungen der Verwaltung zur Statistik (Verwaltung u. Statistik), Monatsschrift 1911. S. 1.
- – R. Jaeckel, Statistik und Verwaltung mit besonderer Berücksichtigung der preussischen Verwaltungreform i. Jena 1913.
- – J. Conrad, Grundriss zum Studium der politischen Ökonomie IV. 1. Geschichte und Theorie der Statistik. Bevölkerungsstatistik 3. Aufl. Jena 1910; IV. 2. Die Statistik der wirtschaftlichen Kultur 1. Hälfte: Berufsstatistik, Agrarstatistik, Forst- und Montanstatistik, .Jena 1904; 2. Hälfte Gewerbsstatistik von A. Hesse, Jena 1909.
- – K. Platzer, Jahrbuch der Statistik, eine internationale Übersicht der statistischen Verwaltung und Wissenschaft 1. Jahrg. 1909. Strassburg
- – K. Platzer, Organisation des statistischen Dienstes (Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand, Ehrengabe für Georg v. Mayr, herausg. v. Fr. Zahn, München u. Berlin 1911, Band I, S. 148 u. ff.).
- – Wilms, Über Verwaltung und Statistik (Vortrag in der deutschen statistischen Gesellschaft 1912)
- – Al. Kaufmann, Theorie und Methoden der Statistik. Tübingen 1913. S. 188 u. ff.
Zur Einleitung einer Überschau des Wesens, des Inhalts und der Bedeutung der Verwaltungsstatistik in diesem Handbuch der Politik ist es wohl angemessen, im allgemeinen die Funktion der
[235] Statistik für die Ausgestaltung der Politik in der Lebensentfaltung der Gemeinwesen zu untersuchen. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint die Statistik als politischer Aufklärungsdienst soweit solcher in der erschöpfenden in Zahl und Mass durchgeführten Beobachtung sozialer Massen besteht. Die Kontrolle der Angemessenheit überkommener politischer Auffassung, Strebensrichtung und Betätigung wie nicht minder auch die befriedigende Ausgestaltung neuer Auffassung, Strebensrichtung und Betätigung solcher Art erheischt Tatsachenerkenntnis der mannigfaltigsten Art als Grundlage der politischen Aktion. Die Orientierung über die Grundlagen der auswärtigen Politik bedingt mannigfaltige Feststellungen über auswärtige Verhältnisse, insbesondere über die Staats- und Wehrkraft sowie die wirtschaftliche Macht der verschiedenen Staaten des Auslandes. Bewirkt wird solche Orientierung teils durch die zu diesem Zweck geschaffenen besonderen Organe des diplomatischen und Konsulardienstes teils auf anderen Wegen, unter denen die sorgsame Nutzbarmachung alles erreichbaren statistischen Materials für jene Staaten des Auslandes von erheblicher Bedeutung ist. Ausserdem aber ergibt sich für die Orientierung über die innere Politik eine reiche Fülle mannigfaltiger Information, so vor allem durch die Berichterstattung der verschiedenen Verwaltungsbehörden, insbesondere jener, die Chefs in Vertrauensstellung haben, gegebenenfalls mittelst Durchführung besonderer Enqueten und mittelst der fortlaufenden Nachrichtensammlung, insbesondere unter Nutzbarmachung des darüber von der Presse dargebotenen Materials und der sorgsamen Sammlung und Verwertung, den in Partei-, Vereins- und Interessenten-Zusammenschlüssen ersichtlichen Entwicklungstendenzen.
Eine eigenartige Organisation und besondere technische Ausgestaltung findet dieser Aufklärungsdienst in der Verwaltungsstatistik. Ist es im allgemeinen die Aufgabe aller Statistik, die in Zahl und Mass durchgeführte exakte Beobachtung aller einzelnen Elemente sozialer Massen zu bewirken, so handelt es sich um Verwaltungsstatistik im besonderen dann, wenn die öffentliche Gewalt (des Staats, der Gemeinde oder des Zweckverbands) es unternimmt, eine derartige Massenbeobachtung zur Durchführung zu bringen. Da das Gelingen solcher Beobachtungen, insbesondere mit dem Charakter einer alle einzelnen Elemente der sozialen Massen erfassenden Feststellung auf blosse Zumutungen eines wissbegierigen Privaten wohl nur in vereinzelten Fällen möglich ist, wird es begreiflich, dass alle grossen und durchgreifenden statistischen Ermittlungen als verwaltungsstatistische Massnahmen sich darstellen.
Die sozialen Massen, deren eigenartige Beobachtung Aufgabe der Statistik ist, kann man in drei Hauptgruppen zerlegen. An erster Stelle sind zu verzeichnen die Menschenmassen selbst, in ihrem Bestand, in ihrer morphologischen Ausgestaltung und in ihren durch die Besiedelungsweise bedingten Beziehungen zum Boden. An zweiter Stelle sind anzuführen die Erscheinungsmassen aller Art, d. h. Massen der fortlaufend als Funktionen der Zeit in der menschlichen Gesellschaft eintretenden Vorgänge, die quantitativ oder qualitativ den Bestand der Menschenmassen beeinflussen, indem sie sich an diesen mit Bestandsveränderung oder innerhalb quantitativ unveränderter Bestandsmassen der Menschen als die Individuen qualitativ verändert kennzeichnend vollziehen. Diese Erscheinungsmassen sind Massen entweder aktiver oder passiver Sozialerscheinungen. Erscheinungsmassen aktiven Charakters sind die Handlungsmassen, d. h. solche, die auf Entschlüsse der Beteiligten und daraus hervorgehende Handlungen – und zwar unabhängig von dem Grad der dabei für sie waltenden tatsächlichen Freiheit des Entschlusses – zurückzuführen sind. Ereignismassen sind solche, die unabhängig von Entschlüssen der von diesen Ereignissen Betroffenen am oder im Menschenbestand sich vollziehen. An dritter Stelle sind sodann noch zu nennen die Massen von verselbständigten äusseren Folgewirkungen (Effekten) menschlicher Handlungen und Ereignisse des fortlaufenden mehr oder minder dauerbare Gebilde schaffenden Kristallisationsprozesses der Kultur, ersichtlich und erfassbar namentlich in der Ausstattung der Gesellschaft mit Gütermassen aller Art, und dazu weiter auch mit den in äussere zähl- und messbare Zustände und Erscheinungen gekleideten Errungenschaften des kulturellen gesellschaftlichen Lebens (z. B. religiöse, politische, wissenschaftliche, künstlerische humanitäre Gebilde solcher Art).
Alle diese sozialen Massen bieten sich der erschöpfenden in Zahl und Mass bewirkten Erfassung der Statistik entweder als gleichzeitig in einem Augenblicksbestand vereinigte Elemente der konkreten Masse dar, wie z. B. der Bestand an gleichzeitig lebenden und in einem gegebenen [236] Augenblicke durch Beobachtung festgehaltenen Individuen der Bevölkerung (Bestandsmassen) – oder sie sind aus im Laufe der Zeit aufeinanderfolgenden einzelnen Erscheinungen zusammengesetzt, wie z. B. Geburten und Sterbfälle, Verbrechen (Bewegungsmassen).
Die elementare Beobachtung aller dieser Massen an sich kann man im weitesten Sinn, wenn man nur deren technische Seite ins Auge fasst und nicht berücksichtigt, in wie weit dabei private oder amtliche Bemühung in Frage ist, als statistische Kunst bezeichnen. Ihre Ausschlaggebende Bedeutung für die Erkenntnis der sozialen Massen aber gewinnt diese statistische Kunst, infolge der dadurch gebotenen autoritären Unterlage für die wirksame Durchführung der für diese Erkenntnis erforderlichen Massenfeststellungen, erst in der Ausgestaltung der Verwaltungsstatistik, mittelst Übernahme der Funktion dieser in Zahl und Mass durchgeführten erschöpfenden Massenbeobachtung unter die Dienstaufgaben der öffentlichen Verwaltung.
Dabei muss man zwei Hauptarten dieser statistischen Verwaltungstätigkeit unterscheiden, und zwar das, was als sekundäre und als primäre statistische Beobachtung oder kurzweg als primäre oder sekundäre Statistik bezeichnet werden kann.
Sekundäre Statistik liegt vor, wenn die primäre Beobachtung der in Frage kommenden Massen-Zustände oder -Erscheinungen nicht aus statistischem Interesse, sondern aus anderweitigem öffentlichen Interesse in entsprechender aktenmässiger Feststellung erfolgt. In Verwirklichung der fortlaufenden öffentlichen Sorge für Rechtswahrung, Sicherungsdurchführung und Kulturförderung aller Art der in Gemeinwesen vereinigten menschlichen Gesellschaft ergeben sich intermittierend, ganz besonders aber fortlaufend Feststellungen amtlicher Art über soziale Massen und deren Elemente. Als Beispiele von intermittierenden Bestandsermittlungen seien Feststellungen über Wahlberechtigte, Heeresdienstpflichtige usw. erwähnt, als fortlaufende Ermittlungen die Feststellungen in den Standesregistern, in den aktenmässigen Verzeichnungen auf dem gesamten Gebiet der Rechtspflege sowie der verschiedenen einzelnen Verwaltungsgebiete angeführt. Die spezifisch statistische Beobachtung knüpft hier erst als sekundäre Operation an, indem die ursprünglichen aktenmässigen Verzeichnungen die Grundlage für die Gewinnung daraus abgeleiteter statistischer Information benützt werden. Zu diesem Zweck setzt unter Benützung der aktenmässigen Vorfeststellungen dann die besondere statistische Aktion unter Nutzbarmachung der speziellen statistischen Technik der geeigneten Ausgestaltung des aus den Akten in zutreffender Form zu entnehmenden Urmaterials ein und weiter die Technik der entsprechenden Ausbeutung dieses Urmaterials und der weiteren zahlenmässigen Zusammenfassung und rechnerischen wie gelegentlich auch graphischen Veranschaulichung des gesamten tabellarischen Ausbeutungsergebnisses. Als Beispiel sei erwähnt die Anfertigung besonderer nur den statistischen Zwecken dienenden Zählkarten aus den Standesregistern und aus den Strafprozessakten zur Bereitstellung spezifisch statistischen Urmaterials für die Statistik der Geburten, Eheschliessungen und Sterbefälle und für die Kriminalstatistik.
Bei der primären Statistik erfolgt die erstmalige Feststellung von Elementen gewisser sozialer Massen nicht bei anderer als statistischer Verwaltungstätigkeit, sondern das statistische Interesse führt als solches zu solcher Feststellung; die statistische Beobachtung ist in diesem Fall Selbstzweck der spezifisch statistischen Verwaltungsbetätigung. Das auf diese Weise aus der Ausgestaltung der verwaltungsstatistischen Beobachtung gewonnene Urmaterial ist gewissermassen nicht ein aus anderweitiger Verwaltungsbetätigung erwachsenes Nebenprodukt, sondern das ausschliessliche oder doch das Hauptprodukt der in diesem Falle direkt auf statistische Information abzielenden Verwaltungsaktion. Das schliesst nicht aus, dass in diesem Falle das Material, das zunächst primärstatistischen Charakter trägt, auch nach anderweitigen Verwaltungszwecken dienstbar gemacht wird.
Als ein Hauptfall solcher primärstatistischen Ermittlungen sind die gewöhnlichen Volkszählungen und die in besonderer Richtung erweiterten und mit wirtschafts- und sozialstatistischen Zutaten bereicherten Berufs- und Betriebszählungen anzuführen. Der primärstatistische Charakter des hierdurch gewonnenen Materials wird gelegentlich zur Erhöhung der mutmasslichen Sicherheit der Ermittlung ausdrücklich betont, wenn z. B. seitens der Erhebungsbehörden ausdrücklich erklärt und dies wohl auch in die Erhebungsformulare aufgenommen wird, dass eine [237] Benutzung der erfolgenden Angaben zu „anderen“ als statistischen Zwecken – insbesondere zu Steuerzwecken oder zur Kontrolle polizeilicher Meldungen – nicht eintreten werde. Andererseits kommt es wohl auch vor, dass die Volkszählungslisten nicht bloss für die statistische Ausbeutung benutzt werden, sondern dass sie nach Durchführung der Ausbeutung – so z. B. nach niederländisch-belgischem System – zur Anlegung und Fortführung ständiger Bevölkerungsregister zu allgemeinen Verwaltungszwecken benutzt werden; dann ist der vorbezeichnete Fall gegeben, dass primärstatistisches Material sekundär auch anderen Verwaltungszwecken dienstbar gemacht wird. Sehr umfassende primärstatistische Erhebungen kommen namentlich im Bereich der Wirtschafts- und der Sozialstatistik im engeren Sinn als besondere verwaltungsstatistische Aufgaben vor, so z. B. ausser den bereits erwähnten Berufs- und Betriebszählungen die umfassenden montanstatistischen, agrarstatistischen und gewerbestatistischen Spezialerhebungen, namentlich die Statistik der Bergbau- und Hüttenprodukte, die Anbau- und Erntestatistik, die Viehzählungen, die besonderen Gewerbestatistiken, insbes. die Statistik der gewerblichen Produktion (soweit solche nicht lediglich als Folge der Besteuerungskontrolle als sekundäre Statistik erwächst und als solche überhaupt gegebenenfalls fast ausschliesslich die gewerbliche Produktionsstatistik darstellt wie leider bisher in Deutschland; doch ist ersichtlich, dass in der allerneuesten Zeit im Zusammenhang mit dem in verschiedenen Ländern, insbesondere auch in England verstärkten und in tatsächlichen Ermittlungen betätigten Interesse an allgemeiner gewerblicher Produktionsstatistik auch für Deutschland die Ausgestaltung einer allgemeinen gewerblichen Produktionsstatistik doch wohl nur mehr eine Frage der Zeit ist).
Im einzelnen kann auch eine Kombination primär- und sekundärstatistischer Ermittlungen sich ergeben, sofern ein spezifisch statistisches Interesse Anlass zur Verfeinerung und Erweiterung sekundärstatistischer Massenbeobachtung gibt. Das ist z. B. der Fall, wenn wie z. B. bei den preussischen Sterbfallkarten zu einer zunächst aus Aktenmaterial ermittelten Feststellung noch Ergänzungsfeststellungen auf Grund von statistischer Sonderbefragung der in Betracht kommenden über die Sachlage informierten Personen stattfinden. In weiterem Sinn kann man hieher auch den anderen Fall rechnen, in welchem die verwaltungsmässige Beobachtungstätigkeit speziell aus statistischem Interesse über das Mass dessen hinaus erstreckt wird, was bei ausschliesslicher Berücksichtigung der an sich gebotenen besonderen Verwaltungsinteressen notwendig wäre. Dieser Fall liegt zum Beispiel bei der Statistik des auswärtigen Warenverkehrs vor, insofern nicht bloss für zollpflichtige sondern auch für zollfreie Waren in derselben positiven und genauen Ausgliederung der Ausweise wie für die zollpflichtigen Waren zu Zwecken der Statistik Ermittlungen angestellt werden. Rein verwaltungsmässig betrachtet, würde in diesem Fall die summarische negative Feststellung der Nichtzollpflichtigkeit genügen, wenn nicht gerade zum Zweck der Neuschaffung eines offiziellen, tatsächlich aber weit überwiegend nur statistischen Charakter tragenden Zollverwaltungsinteresses die Einrichtung der „statistischen Gebühr“ als einer Art Minimalzoll auch hier das, was in Wahrheit primärstatistischer Natur ist, mit dem Gewand des Sekundärstatistischen umkleidet hätte.
Die Gliederung der sekundären Verwaltungsstatistik gestaltet sich gemäss der ressortmässigen Gliederung und den einzelnen Aufgabekreisen der Staats-, Kommunal- und Zweckverwaltung. Im Ressort des Äussern pflegt im allgemeinen wenig selbständige Sekundär-Statistik entwickelt zu werden; auch die etwaigen Sonderveröffentlichungen in Weiss-, Blau-, Gelb- oder Rot etc. -Büchern pflegen nicht sekundäre Verwaltungsstatistik, sondern, soweit sie überhaupt Statistik enthalten, eher internationale Vergleichszahlen zu bringen. Als Material-Sammlung, nicht als Material-Schöpfung sind namentlich die Konsularberichte und die Berichte der technischen Gesandtschaftsattachées gelegentlich auch für die Statistik von Bedeutung. Bei den übrigen Staatsressorts ist in ausgiebigerem Masse durch spezielle Ausweise über deren fortlaufende Verwaltungstätigkeit Anlass zur Herstellung mehr oder minder entwickelter sekundär-statistischer Ausweise gegeben. Dabei kann man je nach dem Mass des veredelnden Eindringens gesteigerten statistischen Interesses an der Nutzbarmachung des fortlaufend anfallenden Aktenmaterials zwei mehr graduell als dem Wesen nach unterschiedene Gruppen auseinander halten. Es kann nämlich geliefert werden eine einfache Ausnutzung des Aktenmaterials zu summarischen Zahlenausweisen, die sog. Geschäftsstatistik, oder zweitens eine reichlicher ausgebaute [238] Sonderstatistik gewisser einzelner Verwaltungsbetätigungen, die vom Standpunkt der allgemeinen statistischen Erkenntnis-Interessen erhöhte Bedeutung haben, oder denen wenigstens eine solche nach der jeweils massgebenden Auffassung beigelegt wird. Besonders anschaulich ist dies zurzeit im Deutschen Reich, und ähnlich auch in anderen Ländern im Ressort der Rechtspflege entwickelt in der Ausgestaltung einer hyper-summarischen – namentlich auf dem Gebiet der gesamten bürgerlichen Rechtspflege, aber ebenso auch für die Vorstadien der Strafrechtspflege, die dem rechtskräftigen Endurteil vorangehen, ganz ungenügenden – „Justizstatistik“ als einer blossen Geschäftsstatistik im Gegensatz zu der besser ausgebauten, im ganzen aber auch noch nicht vollbefriedigenden besonderen „Kriminalstatistik“ als einer Sonderstatistik der rechtskräftigen Aburteilungen wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze. Ein weiteres Beispiel des reichlichen Ausbaues sekundärstatistischen Materials liegt in der Ausgestaltung einer besonderen auf das spezielle Einsteuerungsmaterial gegründeten Steuerstatistik, neben den rein geschäftsmässigen summarischen Ausweisen, wie sie im rechnungsmässigen Nachweis der Steuererträge sich ergeben. Allgemeine, etwa der deutschen Justizstatistik ähnliche statistische Geschäftsberichte für das gesamte, allerdings im einzelnen sehr mannigfaltig zusammengesetzte Ressort des Innern sind selten; erwähnenswert sind als ein Typ solcher Ausweise die Berichte des badischen Ministeriums des Innern. Dagegen gibt es in diesem Ressort verschiedene reicher ausgebaute Spezialstatistiken sekundären Charakters, so insbesondere die aus dem Material der Standesregister abgeleitete Statistik der Bevölkerungsbewegung, wozu in einzelnen Staaten noch eine spezielle aus dem Material der Leichenschau abgeleitete Todesursachenstatistik kommt. Das Unterrichtsressort entnimmt fortlaufende Ausweise mehr summarischer Art aus seinem Aktenmaterial, während gelegentliche oder fortlaufende primärstatistische Ermittlungen, z. B. bei der neuzeitlichen deutschen Universitätsstatistik oder zusammenfassend für das ganze Unterrichtswesen in einer von Zeit zu Zeit einsetzenden Gesamterhebung Platz greifen. Die wirtschafts- und sozialpolitische Verwaltung bietet in ihren Akten reiche statistische Schätze, man denke nur z. B. an das, was das Aktenmaterial der Sozialversicherung bietet; daneben ist für diese Verwaltung besonders reichlich Anlass zur Befürwortung primärstatistischer Sondererhebungen gegeben. z.B. bei der Betriebs- und Produktionsstatistik, insbesondere auch in Gestalt von Sonderermittlungen über die im Gebiet der Sozialversicherung spezieller statistischer Beobachtung zugänglichen Massen, so z. B. die Sonderermittlungen über Unfälle und deren Ursachen über Invalidität und deren Ursachen, über Heilbehandlung usw. Reiches statistisches Material entquillt ohne weiteres der gesamten Geschäftsführung der Verkehrsverwaltung und zwar hier in der Hauptsache in reich ausgegliederter sekundärstatistischer Ermittlung. Ähnlich liegt die Sache bei dem Ressort der Finanzverwaltung – , bei der übrigens – wie bereits hervorgehoben – ein weiterer Ausbau der blossen Geschäftsstatistik zu sorgsam ausgegliederten Sonderstatistiken gerade wie auch bei der Verkehrsverwaltung möglich und in einzelnen Sonderleistungen auch durchgeführt ist. Reich ausgestaltetes sekundärstatistisches, seinem Wesen nach – wie bereits erwähnt – der primärstatistischen Erkundung verwandtes Material, insbesondere auf dem Gebiet der Beobachtung des Warenverkehrs, liefert die Zollverwaltung. Endlich hat auch die Heeres- und Marineverwaltung reichhaltiges zu sekundärstatistischen Veröffentlichungen Anlass gebendes Material, das allerdings nur mit einer gewissen Zurückhaltung – am wenigsten beim Militärsanitätswesen – zu allgemein zugänglichen reich ausgebauten Statistiken verwertet wird.
Schon im bisherigen war gelegentlich das Ressortinteresse an der Ausgestaltung nicht nur der Ressort-Verwaltungs-Statistik sondern an der Durchführung grosser allgemeiner primärstatistischer Erhebungen zu erwähnen, die tatsächlich im Interesse nicht eines Ressorts, sondern im allgemeinen Interesse des Gemeinwesens gelegen sind. Soweit nur einfache geschäftsstatistische Ausweise in Frage sind, ist die Lieferung dieser Ausweise zweifellos ganz und gar Sache des betreffenden einzelnen Ressorts. Wie aber steht es mit den grossen primärstatistischen Erhebungen? Auch solche können unter besonderen Umständen in ihrer Durchführung und weiteren Beobachtung Ressortangelegenheit bleiben, so insbesondere bei einzelnen primärstatistischen Zutaten zur Statistik einer Verwaltung, die ohnedies in sekundärstatistischen Ausweisen sehr reiche Entwicklung zeigt, so beispielsweise bei der Finanz-, Verkehrs- und der neuzeitlichen Sozialversicherungs-Verwaltung. Abgesehen von diesen in unmittelbarem Zusammenhang [239] mit der Ressortverwaltungstätigkeit gepflegten speziellen primärstatistischen Feststellungen gibt es aber noch andere und zwar gerade die bedeutsamsten Feststellungen solcher Art, bei denen der allgemein statistische Charakter, die Gesamtbedeutung der Erhebung für das Gemeinwesen als solche und die gesamte von und für dieses Gemeinwesen durchzuführende Politik so in den Vordergrund tritt, dass die Vereinigung der besonderen technischen Sorge des Gemeinwesens – sei es nun Staat oder Gemeinde – für die Durchführung und Nutzbarmachung einer solchen Statistik naturgemäss in einer statistischen Zentralverwaltung zusammengefasst wird, der dann mit ihrem Erstarken gelegentlich noch manche ehedem in gesondertem Verwaltungsressort gepflegte Primärstatistik zufällt. Als selbständiges Ministerialressort hat sich die statistische Zentralverwaltung nicht ausgebildet; von einer solchen Entwicklung war nur gelegentlich und vorübergehend die Rede; der Minister der Statistik kann auch aus inneren Gründen kaum befürwortet werden, weil zwar die Ausgestaltung der statistischen Erhebungen eine sehr wichtige Verwaltungsaufgabe namentlich dazu berufener staatlicher Organe ist, aber das einheitliche besondere Verwaltungsziel der unmittelbaren Förderung eines speziellen öffentlichen Interesses, das einer gewissen politischen Interessensphäre zugehört, hier fehlt. Auch eine Sonderstellung gewissermassen über oder doch neben den Ministerialressorts in Angleichung dieser Stellung an jene eines durchaus selbständigen obersten Rechnungshof dürfte – abgesehen von prinzipiellen Bedenken – die erfolgreiche Aktion der statistischen Zentrale wohl nicht fördern. So wird die Verwaltungsstatistik vermutlich – obwohl man besser tut, nichts zu prophezeien – unter dem politischen Schutz entweder eines altehrwürdigen Ressorts, insbesondere des Ressorts des Innern, oder eines modernen Ressorts – so vor einiger Zeit des neu auftauchenden „Handels“ressorts, jetzt noch eher des Ressorts der „Sozial- und Arbeits“verwaltung u. dgl. bleiben.
Aber die statistische Zentralverwaltung wird dafür immer mehr die gesamte massgebende Technik der Erhebung, der Materialausbeutung und der Veröffentlichung mit wünschenswertem möglichsten unmittelbaren Einfluss auf die verwaltungsmässige Regelung aller dieser Fragen bestimmen und leitend und selbstarbeitend dabei eingreifen. Aus dem statistischen „Bureau“ der Vergangenheit ist das in selbständiger energischer Verwaltungstätigkeit wirksame statistische „Amt“ geworden. So finden wir heute in der Staatsverwaltung, wenn auch noch unter anderweitiger ministerieller Ägide die verselbständigte statistische Verwaltung in reicher Ausgestaltung. Diese im einzelnen darzulegen und dabei weiter auch der verwaltungsmässigen internationalen Organisationen näher zu gedenken, wie sie z. B. im Berner Amt für die Internationale Poststatistik, beim landwirtschaftlichen Institut in Rom für die Landwirtschaftsstatistik, als erste Ansätze für weitere derartige internationale Organisationen, gegeben und neuestens in der Ausgestaltung eines statistischen Amts des Internationalen statistischen Instituts in Aussicht genommen sind, fehlt hier der Raum; nur eine kurze Überschau unserer deutschen Verhältnisse sei gestattet. In voller Selbständigkeit und Konzentration findet sich die statistische Verwaltung bei jenen Ämtern, die ausschliesslich mit der Wahrnehmung von Aufgaben der statistischen Verwaltung betraut sind. Nach dem Vorschlag Mischler’s spricht man wohl in diesem Fall auch von der „ausgelösten“ Statistik, während man die Statistik da, wo sie von anderen Verwaltungsstellen neben anderweitigen Verwaltungsgeschäften gepflegt wird, als die „unausgelöste“ Statistik bezeichnet, mag es sich dabei nur um „Geschäftsstatistik“ oder einzelne besondere primärstatistische Erhebungen mit Leitung und technischem Eingreifen solcher Verwaltungsstellen handeln. Die ausgelöste wie die unausgelöste Statistik sind im Deutschen Reich namentlich in Gestalt von Reichs- Landes- und Kommunalstatistik sowie als Sonderstatistik einzelner Verwaltungsorgane vertreten. Eine sehr gute Übersicht bietet das von Dr. Platzer herausgegebene Jahrbuch der Statistik und dessen oben unter Literatur erwähnter Aufsatz. Die Organisation der ausgelösten Statistik des Reichs ist im Kaiserlichen Statistischen Amt verwirklicht, während unausgelöste Reichsstatistik von zahlreichen anderen Verwaltungsstellen geliefert wird (Auswärtiges Amt, Reichsamt des Innern, Kaiserliches Gesundheitsamt, Kaiserl. Patentamt, Reichs-Versicherungsamt, Kaiserl. Aufsichtsamt für Privatversicherung, Deutsche Seewarte [falls man die meteorologischen Ausweise zur Statistik rechnen will, zu der sie allerdings nur methodisch, nicht materiell gehören]. Reichs-Justizamt, Reichseisenbahnamt, Preuss. Ministerium der öffentlichen Arbeiten [Güterbewegung auf den deutschen Eisenbahnen], Reichs-Postamt, Reichsbank, Kriegsministerium, Reichsmarineamt). [240] Eine ähnliche Scheidung ausgelöster und unausgelöster statistischer Verwaltung findet sich in allen grösseren und mittleren deutschen Staaten, für eine Anzahl von Kleinstaaten (6) besteht das gemeinsame statistische Bureau vereinigter thüringischer Staaten, nur 3 kleine Staaten haben keine besondere Organisation der Statistischen Verwaltung. Besonders reich hat sich in Deutschland die Städtestatistik entfaltet; zurzeit haben 47 deutsche Städte eigene statistische Ämter.
Bei dieser reichen Ausgliederung der deutschen Verwaltungsstatistik bestehen selbstverständlich sehr bedeutungsvolle Beziehungen zwischen den verschiedenen Organisationsreihen, insbesondere zwischen Reichsstatistik und Landesstatistik und andererseits zwischen Landesstatistik und Städtestatistik. Die befriedigende Ausgestaltung der gesamten Verwaltungsstatistik in Deutschland und im besonderen die Wahrung der bestmöglichen Dienstleistung derselben für die Politik in Reich, Staat und Stadt erheischt eine sorgsame Wahrung des für die Reichsstatistik, die Landesstatistik und die Städtestatistik sachgemäss zu ordnenden Wirkungskreises der statistischen Verwaltung und insbesondere des diesen verschiedenen Instanzen zu wahrenden Verfügungsrechts über das Urmaterial der wichtigsten allgemeinen statistischen Ermittlungen, wie sie beispielsweise in unseren Volkszählungen und den Berufs- und Betriebszählungen gegeben sind. Eine unitarische Entwicklung, welche das gesamte Urmaterial solcher Erhebungen der städtischen und staatlichen Verwaltungsstatistik entzöge, wäre der schwerste Schlag, der gegen die harmonische Entwicklung der Reichs-, Landes- und Städtestatistik geführt werden könnte. Um die Jahreswende 1910/11 sah es danach aus, als könnte Ähnliches drohen und noch in den Reichstagsverhandlungen über den Reichs-Etat 1911 war keine Klärung geschaffen. Seitdem aber kann man die aus zu weitgehender Zentralisationstendenz des damaligen Leiters der Reichsstatistik erwachsene Gefahr wohl als beseitig erachten, jedenfalls muss man dies eindringlichst erwarten; ich möchte deshalb auf den hoffentlich nur vorübergehenden schweren Traum besorgter deutscher Statistiker, unter denen auch ich mich literarisch gemeldet habe, nicht eingehen – habe auch die bezügliche Literatur nicht erwähnt. So möge es denn auch fernerhin, vorbehaltlich gewisser nützlicher Verschiebungen im einzelnen (sei es zugunsten der Reichsstatistik, sei es zugunsten der Landes- und Städtestatistik) dabei bleiben, dass in Deutschland gewisse Zweige der Verwaltungsstatistik, soweit die Verarbeitung der Urmaterials und die Veröffentlichung in Frage sind, allein dem Kaiserlichen Statistischen Amt verbleiben (unmittelbare oder zentrale Reichsstatistik), dass weiter andere Gebiete der Statistik in Materialverarbeitung und Publikation unbeschränkte Landessache sind, daraus aber gewisse gleichartig gestaltete Nachweise von den Landesregierungen dem Kais. Statistischen Amt zur Verfügung gestellt werden mit dem Vorbehalt, dass in verwaltungsstatistisch nicht genügend ausgerüsteten Bundesstaaten deren Regierungen die Übertragung der Materialbearbeitung an das Kaiserliche Statistische Amt freisteht (mittelbare oder föderierte Reichsstatistik). Endlich verbleibt der landesstatistischen wie der städtestatistischen Verwaltungsstatistik je noch ein weiteres Gebiet freier autonomer Entfaltung partikularen und lokalen Charakters, wobei im einzelnen zwischen Land und Staat noch geeignete Sonderverständigungen über die Materialbearbeitung gerade wie auch bei der Materialbearbeitung für die förderierte Reichsstatistik vorbehalten bleiben.
Abschliessend sei nach diesem – notgedrungen kurzen – Ausblick auf das Wesen und die Ausgestaltung der Verwaltungsstatistik noch in Anknüpfung an den Anfang dieser Darlegung zusammenfassend der Bedeutung der Statistik für die Politik und die besonderen politischen Aktionen gedacht. Die Statistik bietet ein besonders wirksames Mittel einer objektiven fortlaufenden oder in einzelnen Zeitpunkten mit Erfolg einsetzenden Beobachtung der Wirkungen vorangegangener politischer Aktion. Aus solchen statistischen Erfahrungen über die Vergangenheit können neue politische Ziele als erstrebenswert sich darstellen, und dazu können zielbewusst einsetzende besonders geartete statistische Massenbeobachtungen für die konkrete Formulierung der in Verfolgung der neuen Ziele zu fassenden politischen Entschlüsse die erforderliche sichere Unterlage bieten. Geschichtlich bestätigt wird die Innigkeit der Beziehungen zwischen Statistik und erfolgreicher Politik durch eine Tatsache, die ich einmal bei festlichem Anlass in Worten erwähnt habe und die Platzer seinem Jahrbuch der Statistik als Motto beigegeben hat; diese Worte lauten: „Ein aufstrebendes Staatswesen liebt die Statistik, ein niedergehendes verachtet sie!“